22. Mai 2011

Das Agdak – Dachdeckung aus vorchristlicher Zeit?

Bauernhaus "mit Pudelmütze" auf der Insel Farö
(bk) Auf der schwedischen Insel Gotland gibt es Häuser mit Dächern wie Pudelmützen. Im Norden der Insel sieht man sie öfter, vor allem auf Nebengebäuden, im Süden nur noch in den kleinen Heimatmuseen. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort, wurde ich in dem kleinen Heimatmuseum "Vike Minnesgård", im Nordosten der schwedischen Insel, Zeuge dieser uralten Form des Dachdeckens, die schon aus vorchristlicher Zeit stammen soll.
Das ca.30 m lange Langhaus in Ständer-Bohlen-Bauweise, 1828 als Resultat einer Höfeteilung hierhin versetzt, genutzt als Stall, Scheune und Göpel, ist schon für das neue Dach vorbereitet. Dicht an dicht liegen die unbearbeiteten Fichtenstangen mit den Asthaken, die das Dachmaterial halten auf dem Sparrendach. Dachlatten gibt es nicht. Die sind auch nicht nötig, weil es nichts gibt, was an diese angebunden werden müßte, wie das beim Stroh- oder Reetdach der Fall ist.
Vor den Moortrockenlegungen am Ende des 18. Jahrhunderts waren alle Häuser mit Ag gedeckt - so heißt das Schneidgras (Cladium Mariscus), das hier noch in den letzten Mooren wächst. Es wird einige Wochen vor der Dacheindeckung geschnitten, früher mit der Sense, heute mit Maschinen. In knapp 2 m hohen Mieten wird es locker gelagert, damit es nicht fault. Für das Dachdecken darf es aber nicht zu trocken sein, eher feucht, dann liegt es besser und das Dach wird fester.
Ca. 50 Männer sind mit dem Bus von der Insel Farö gekommen – hier beherrscht man noch diese uralte Technik des Dachdeckens – um das Museumsgebäude einzudecken. Alles ehrenamtlich nur für Verpflegung und am Ende ein Dachdeckungsfest.
Dreiviertel der Männer arbeiten auf dem Dach: sie treten stampfen und schlagen das Ag damit es wirklich dicht liegt – schließlich muß das Dach einige Jahrzehte halten – ohne einen Nagel, Draht oder andere Hilfsmittel wie beim Reetdach. Der Rest der Mannschaft ist für die Materiallieferung (p. Frontlader) zuständig und dreht am Boden "Trossen" aus Ag, die immer wieder um die Fichtenstangen gebunden werden und deren Enden mit der Dachschicht verdichtet werden. Das ist die einzige Verbindung mit der Dachkonstruktion. An einem Tag schafft die Mannschaft eine Dachhälfte – wenn alles optimal läuft.
Auf die fertige Dachfläche werden zur Stabilisierung lange "Hängehölzer" gelegt, die auf dem First paarweise miteinander verbunden sind. Und einen Giebelschmuck gibt es auch: Die Ortgangstangen werden mit Baumkrone eingebaut und ragen dann einige Meter über den First (ob das die Urahnen unserer norddeutschen Pferdeköpfe sind?). Außerdem sieht man auf fast jedem Agdak ein Kreuz, umschlossen von einem Kreis (heidnisches Sonnensymbol wurde mir erzählt), um das Haus vor Unheil zu schützen – doppelt hält eben besser, man kann ja nie wissen …
Die letzte Dacheindeckung auf diesem Gebäude passierte übrigens 1954, und hat mehr als 50 Jahre gehalten.
Die Wirtschaftsgebäude des Heimatmuseums "Vike Minnesgård"
das Langhaus (Stall, Scheune, Göpel) wartet auf die Dachdecker
die weit auseinanderliegenden originalen Sparren sind "aufgestockt"
und mit neuen "Kehlbalken-Zangen" verstärkt …
Dachlatten gibt es keine, rohe Fichtenstangen mit Haken
tragen die dicke Dachhaut aus Ag

"Ag", das Material für die Dacheindeckung wird in diesen lockeren Haufen einige Wochen gelagert
Cladium Mariscus

Die Bodenmannschaft dreht das Ag zu Trossen, die in bestimmten Abständen um die Fichtenstangen gedreht werden und die Verbindung zur Dachkonstruktion herstellen.

Auf den ersten Blick sieht das alles sehr chaotisch aus, aber jeder hat seine Aufgabe. Das Ag wird mit dem Frontlader "geliefert"und mit Forken weitergereicht
über 40 Männer sind mit dem Bus von der Insel Farö (nördlich von Gotland) gekommen, dort beherrscht man noch diese uralte Art des Dachdeckens.
Das Dachmaterial wird festgetreten …
… mit paddelähnlichen "Schlag"werkzeugen verdichtet …

… zwischen die Stangen gestampft …
… und die Trossen, die einzige feste Verbindung mit der Dachkonstruktion, werden eingearbeitet. Die Männer mit der meisten Erfahrung kümmern sich um den Ortgang.
als es noch keine Frontlader gab, wurde das Material auf den angelehnten Stangen nach oben gezogen. Die Frauen arbeiten auf dem Boden, die Männer auf dem Dach. (hist. Foto 1939)

Dachfeier auf dem First (hist. Foto)

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