21. Mai 2011

Zurück in der Wirklichkeit

Nach gut 3 Wochen Siebenbürgen, bin ich nun wieder zurück in Deutschland. Wenn ich meine Gefühle und Gedanken sortiere und sie mit einem Wort beschreiben sollte, trifft es wohl am ehesten der Begriff „Zeitmaschine“. Ich komme mir vor, wie von einer „Zeitmaschine“ wieder ausgespuckt in die Wirklichkeit. Die Welt in „Siebenbürgen“ ist eine andere Zeit, eine andere Wirklichkeit und doch hat sie mit uns zu tun. In einem siebenbürgischen Dorf findet man fast alles, was man sich in unseren Dörfern, selbst wenn sie noch recht gut erhalten sind, nur mit viel Fantasie vorstellen kann. Es ist eine Welt, die wir bei einem reiferen Alter vielleicht noch gerade aus der Kindheit kennen oder von unseren Großeltern erzählt bekommen haben.
Das, was mich als erstes beeindruckt hat, ist die Farbigkeit der Häuser. Von gelb bis beige, viele Blautöne, gelegentlich rosa oder grün sind sie gestrichen in wunderbaren Kalkfarben. Kalkfarben ergeben keine stumpfe eintönige Färbung, sondern changieren, man sieht noch den breiten Pinsel, mit dem gestrichen wurde.
Erst danach fängt man an, sich für die Details der Häuser zu interessieren und registriert den enormen Formenreichtum der Verzierungen, Öffnungen, Inschriften und Datierungen. Von meinen fast 3000 Fotos ist das gemalte Datum von 1719 in Weißkirch wohl die älteste Datierung. Andere Inschriften und Verzierungen, wie die von 1794 in Birthäm sind in Stuck gefertigt oder wie in dem Haus von 1827 in Weißkirch gemalt und geritzt. In einigen Dörfern finden wir Fächerrosetten, ein Motiv das wir gerade in Norddeutschland kennen und lieben, so auch in Martinsdorf. Aber spätestens hier werden wir bei dem Datum im Medaillon stutzig, wieso 1968? Was sagen alle die Baudaten aus? Sind es Baudaten, Daten von neuen Giebeln oder kam hier der Stuck ans Haus oder wurde ganz einfach in dem Jahr neu gestrichen? Hier eröffnet sich ein großes Forschungsfeld, das bisher nur ansatzweise untersucht und beschrieben wurde.
Über Scheunen und Ställe, Blockbau und Fachwerkkonstruktionen habe ich bereits berichtet. Aber jenseits von Hausbau und Kirchenburgen gibt es noch eine andere Seite die begeistert, das ist die dörfliche Einheit aus umgebender Natur, menschlichen Maßstab an Wohnen und Wirtschaften und dazwischen Tiere. Da sitzen in der Abenddämmerung die Menschen in Arkeden vor ihren farbigen Häusern und lassen im Gespräch mit dem Nachbarn den Tag ausklingen oder beobachten gedankenverloren den Sonnenuntergang.
Durch fast alle Dörfer, vor allem in den etwas abgelegenen, fließt ein Bach, in dem sich das Federvieh tummelt. Gestört werden sie nur von größeren Tieren, am ehesten von den reichlich herumlaufenden Hunden und Katzen. Gelegentlich begegnet man Menschen und Tieren gemeinsam, ein Bauer der eine Kuh oder ein Pferd von einer Grünfläche zur nächsten führt oder wie in Weißkirch, Menschen und Schafe, im Gänsemarsch in Richtung Stall marschierend. Selten ist ein Tier am Halfter oder Strick fixiert, die meisten laufen freiwillig dahin, wohin man sie führt. Am Tage sieht man fast an jedem Berghang eine Herde Schafe mit ihrem Hirten herumziehen. Weidezäune findet man überhaupt nicht, eingezäunt wird nur, was gegen Verbiss geschützt werden soll.
Zweimal am Tage ist allerdings alles anders. Morgens wenn die Pferde und Kühe gewissermaßen vor die Türe gesetzt werden, weil kurze Zeit später der Dorfhirte durch den Ort zieht und die Tiere einsammelt, um mit ihnen auf die Weiden zu ziehen, und vor allem abends wenn sie zurück kommen. In Weißkirch sind es 120 Tiere. Man hört sie schon von weitem, an ihrem Glockengeläut, jedes Tier hat eine Glocke die etwas anders klingt und sehen kann man zuerst nur eine riesige Staubwolke. Wenn die Herde den Dorfrand erreicht, werden sie von den ersten Dorfbewohnern mit Hallo empfangen und die ersten Tiere trennen sich von der Herde und wenden sich ihrem heimatlichen Stall zu. Da sieht man stolze Jungen, ohne Sattel auf dem Rücken eines Pferdes sitzen, die den Hirten begleitet haben oder einen der Hirten, der eine kleine Gruppe von Pferden am Halfter führt, damit mit ihnen nicht das Temperament durchgeht. Da nicht alle Pferde geführt werden können, jagen einige quer durchs Dorf und man ist gut beraten, den Weg frei zumachen. Die ersten Kühe haben den Dorfbrunnen erreicht und lassen sich erst einmal mit Wasser vollaufen. Während die einen Dorfbewohner ihre Tiere mit einem kleinen Stock führend abholen, lassen andere nur zur rechten Zeit die Tür aufstehen, damit ihr Pferd oder 2 bis 3 Kühe ihren Stall selber finden. Nach spätestens einer halben Stunde ist der Spuk vorbei und es kehrt wieder Ruhe ein.
Eine Ruhe, die wir uns in Deutschland kaum noch vorstellen können. Was ich mich allerdings frage, wie lange diese Ruhe in Rumänien noch zu finden ist. Rumänien ist in der EU und die EU hat Vorschriften. Vorschriften wie das Vieh zu halten ist, welche Hygienevorschriften bei der Produktion von Milch, Butter und Eiern einzuhalten sind und wie der Selbstvermarktungsraum zum Verkauf der eigenen Produkte auszusehen hat. Wenn diese Vorschriften Siebenbürgen erreichen, ist es aus mit der schönen Ruhe, dann folgt die gespenstische Ruhe. Dann überleben nur noch die Großen, die bei der kleinteiligen Landschaft allerdings keine Chance haben zu wirtschaften und die Kleinen werden alle aufgeben, aufgeben müssen. Die Folge ist eine weitere Verödung der Dörfer, die natürlich auch hier eingesetzt hat. Nachdem vor knapp 20 Jahren der größte Anteil der Sachsen nach Deutschland zog, ist eine Verödung schon heute nicht mehr zu übersehen. Aber bevor ich jetzt ins politisieren komme, will ich lieber an dieser Stelle meinen Bericht beenden.
beeindruckend – die Farbigkeit der Häuser, hier in Weißkirch
die älteste Datierung an einem Haus, die mir begegnete
Datierung von 1794 in Birthälm, in Stuck
Datierung von 1827 in Weißkirch, gemalt und geritzt
Datierung in Weißkirch, 1824
Fächerrosetten in Martinsdorf – 1968?
Arkeden – Zeit ...
das Federvieh am Bach – in Weißkirch
Viehhirte mit seinen Schafen
Schafherde
abends kommt das Vieh zurück ...
die Pferde müssen geführt werden
die Jungs reiten ohne Sattel
das Vieh weidet überall, Zäune gibt es nur für die Gärten
abends an der Viehtränke
das Vieh weiß wo es hingehört

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