3. Juni 2018

Von Bethlehem in Schwyz nach Luzern

Die Kapellbrücke in Luzern aus dem 14. Jahrhundert
Mit einigen Tagen Verspätung folgen hier die Berichte über die letzten Tage unserer großartigen Schweiz-Reise - wir waren abends einfach zu müde, um den Blog zeitnah zu aktualisieren, wofür wir die geschätzte Leserschaft um Nachsicht bitten... - Es geht also weiter mit dem 3. Juni: Heute sind wir mit Benno Furrer im "Urschweizer" Kanton Schwyz unterwegs, auf dem Programm stehen einige der ältesten Blockbauten Europas aus dem 12. bis 14. Jahrhundert, an deren Entdeckung und Erforschung Benno maßgeblich beteiligt war. Nachmittags fahren wir weiter zu unserem letzten Übernachtungsort Luzern, wo wir die berühmte Kapellbrücke besichtigen, die nach einem verheerenden Brand 1993 unter Mitwirkung von Heinz Pantli restauriert worden ist.
Morgens beginnen wir mit einem Ortsrundgang im Kantonshauptort Schwyz. Der Marktplatz mit dem Rathaus ist umgeben von gut erhaltenen Steinhäusern aus der Barockzeit.
Das Rathaus von Schwyz ist ein barocker Steinbau mit Mansarddach. Es wurde nach einem Ortsbrand 1642 vom Baumeister Melchior Katzrauner aus dem Bregenzerwald wiederaufgebaut und 1771 renoviert.
Die reiche Fassadenmalerei im Stil der Neorenaissance wurde 1891 von dem Münchner Historienmaler Ferdinand Wagner angebracht. Sie zeigen Szenen aus der 600-jährigen Schwyzer Geschichte.
Hinter der barocken Kirche von Schwyz steht eine Kapelle über einem Beinhaus. In der Kapelle befindet sich dieser spätgotische Flügelaltar. Davor sind zwei moderne Holzsärge aufgestellt, in denen aktuell Verstorbene aufgebahrt werden können.
Moderne Butzenverglasung der Kapelle mit bemalten Scheiben.
Der Ort Schwyz ist umgeben von einem Kranz von großzügigen, überwiegend barocken Herrenhäusern von sog. Patriziern, also Familien der ehemals herrschenden Oberschicht im Kanton Schwyz. Das prominenteste unter ihnen ist die sogenannte "Ital Reding-Hofstatt" mit dem Herrenhaus des Ital Reding, einem Renaissancebau von 1609 und dem Haus Bethlehem, einem mittelalterlichen Blockbau von 1287 (d).
Das Haus Bethlehem ist das alte Herrenhaus der heutigen Ital Reding-Hofstatt, es wurde laut Dendro-Datierung 1287 erbaut. 1540 wurde das ganze Gebäude mit hölzernen Bauschrauben etwa 1,5 Meter angehoben und das heutige massive Kellergeschoss untergebaut. Hinter dem großen Fenster rechts unten befindet sich eine Trinkstube im Keller mit bemalten Wänden - ähnlich wie wir sie bereits in den Häusern Spielmatt und Balmermatte in Bürglen gesehen haben. Die massive Wand im ersten Stock markiert die Lage der Küche mit der ehemaligen offenen Herdstelle.
Haus Bethlehem, Vorderansicht. Die seitlichen Lauben und die Fensterbänder mit vertikalen Ziehläden (rekonstruiert) wurden im 18. Jahrhundert hinzugefügt.
Detailansicht der Fassade. Typisch für mittelalterliche Blockbauten vor 1500 sind die unregelmäßigen "Vorstöße" (Balkenköpfe) von einbindenden Querwänden (links im Bild) und die "fassadensichtigen Bodenbohlen" - die Stirnseiten der Fußbodendielen sind in den Blockbauwänden von außen sichtbar.
Das Haus Bethlehem hat ein traditionelles alpines Legschindeldach: Die langen Holzschindeln sind nicht genagelt, sondern lose verlegt und mit Rundhölzern und Steinen beschwert.
Flur im Haus Bethlehem: Links eine mittelalterliche Tür mit ca. 30 cm hoher Schwelle, rechts eine Blockstufentreppe zum Obergeschoss.
Die frühere Rauchküche wurde im 19. Jahrhundert mit einem Schornstein und einem eisernen "Sparherd" ausgestattet.
Blick in die Küche
Blick auf "das Bethlehem" von der vorbeiführenden Straße, links im Hintergrund der Kirchturm von Schwyz. Der volkstümliche Name "Bethlehem" hat nur indirekt mit dem Geburtsort Jesu Christi zu tun - vermutlich leitet er sich von "Bettelheim" ab. Diesen Spitznamen hatte das alte Blockhaus erhalten, als es im 18. und 19. Jahrhundert an arme Familien vermietet war. Bis zur Restaurierung 1981 war es bewohnt.
Das heutige Herrenhaus der Ital-Reding-Hofstatt wurde 1609 von Ital Reding, einem Schwyzer Patrizier, erbaut, der als Söldnerführer zu einem großen Vermögen gekommen ist. Das Gebäude ist ein damals moderner Steinbau der Spätrenaissance mit zwei Zwerchgiebeln, illusionistisch gemalten Eckquadern und Fenstern mit Ziehläden.
Wir sind überwältigt von der Pracht der erhaltenen Innenausstattung: Hier eine Stube mit reicher Kassettendecke, eingebauten Büffets aus Nussbaumholz und einem Fayence-Ofen.
Ein Raum mit (jüngerem) Kamin und Ahnenporträts der Familie Reding.
Eingangshalle mit Treppe und lebensgroßem Porträt im Obergeschoss
Der hölzerne Erker wurde von einem Enkel des Ital Reding 1661 hinzugefügt.
Bei Kaffee und einem Imbiss vor einer Schweizer Bank erholen wir uns von den überwältigenden Eindrücken....
Dann geht es weiter zum Dorf Steinen im Kanton Schwyz. In den Innerschweizer Kantonen Uri, Schwyz, Nidwalden und Luzern sind etwa 30 bis 40 Blockbauten aus dem 12. bis 14. Jahrhundert bekannt - viele davon wurden in den letzten Jahren abgerissen oder sind vom Abriss bedroht - obwohl es sich um einige der ältesten Holzbauten Europas handelt!

Dieser eindrucksvolle Blockbau am Marktplatz ist nicht mittelalterlich: Das frühere "Gasthaus zum Rössli" wurde 1903 im Schweizer Heimatschutzstil erbaut.
Die Fassade des "Rössli" ist reich bemalt...
...und das Dach kragt auf profilierten Pfettenköpfen vor.
In der Herrengasse sehen wir diese beiden mittelalterlichen Blockbauten aus dem 13. oder 14. Jahrhundert. Die Schindelverkleidung und die Fenster aus dem 19. Jahrhundert täuschen über das wahre Alter hinweg. Das Gebäude rechts (Herrngasse 15) ist 1307 dendrodatiert; es wurde ohne Beteiligung der Bauforschung umgebaut und modernisiert. Das linke Haus steht leer und hat eine ungewisse Zukunft.
Dieser mittelalterliche Blockbau an der Schwyzerstrasse 9 stammt aus dem letzten Viertel des 13. Jahrhunderts, ist also etwa so alt wie das Haus Bethlehem. Es wurde in seiner äußeren Gestalt wiederhergestellt.
Der Bau zeigt mit unregelmäßigen Blockwandvorstößen und fassadensichtigen Bodenbohlen die typischen Merkmale des mittelalterlichen Blockbaus. Leider wurden im Innern viele originale Zwischenwände und -decken herausgenommen.
Dieser mittelalterliche Blockbau an der Lauigasse in Steinen ist 1305 dendrodatiert - und sollte demnächst abgerissen werden! Der Streit ist vor Gericht; aktuell wurde ein Urteil des Verwaltungsgerichts Schwyz durch eine "superprovisorische Verfügung" des Eidgenössischen Departements des Innern aufgehoben und damit ein Abrissverbot verhängt (Bote der Urschweiz vom 30.5.2018). Das ist ein Erfolg für den Schweizer Heimatschutz, der sich für den Erhalt des über 700-jährigen Hauses einsetzt. Jetzt sind konkrete Initiativen und Vorschläge zur Erhaltung des Baudenkmals gefordert - wir sind gespannt, wie es weitergeht.
Ausschnitt der Fassade mit Fenstern des 19. Jahrhunderts.
Detail der mittelalterlichen Blockbauwand
Seitenansicht. Im hinteren Teil wurde ein Garagentor eingebrochen.
Alter Bruchsteinkeller unter dem vorderen Hausteil.
Wir fahren weiter und besuchen das historische Schlachtfeld von Morgarten - hier haben die Schweizer Eidgenossen 1315 habsburgische Truppen besiegt, was als Beginn der Schweizer Unabhängigkeit gewertet wird. Allerdings gibt es keine genauen Quellenhinweise - wir wissen heute nicht, ob es wirklich eine große Schlacht oder nur ein kleines Scharmützel war... Heute ist das frühere Schlachtfeld ein wichtiger Gedenkort, den jede Schweizer Schulklasse besucht haben muss. Neben einem nach modernsten museumsgestalterischen Gesichtspunkten gestalteten Info-Zentrum wurde ein mittelalterlicher Blockbau wiedererrichtet, das Haus Niederöst aus Schwyz von 1176 (d) (!), das ebenfalls an seinem alten Standort nicht erhalten bleiben konnte.

Neben dem "Letzi-Turm" als Wahrzeichen des Schalchtfeldes von Morgarten steht der wiederaufgebaute Blockbau von 1176.
Man kann deutlich die originalen Blockbauteile und die neuen, beim Wiederaufbau hinzugefügten Hölzer unterscheiden.
Im Innern wurde die hohe Rauchküche mit einer rekonstruierten Herdstelle wiederhergestellt.
An der rußgeschwärtzten Blockbauwand hängt ein riesiger Flachbildschirm, auf dem eine Tonbildschau zur Geschichte des Hauses gezeigt wird.
Alle schauen gebannt zu - Heinrich und Volker durch eine große Glasscheibe von draußen.
Auch von innen sind originale und ergänzte Hölzer deutlich zu unterscheiden.
Das Gebäude wird von den Hausforschern gründlich untersucht und fotografiert.
Der wiederaufgebaute Bau von 1176 von außen.
Anstelle der Fenster des 19. Jahrhunderts wurden die schlitzförmigen Blockbau-Fenster des 12. Jahrhunderts rekonstruiert.
Das moderne Info-Zentrum empfängt uns mit Schlachtenlärm aus Lautsprechern.
Im Innern gibt es eine Ausstellung zur Schlacht von Morgarten in anspruchsvollem, aktuellem Museumsdesign... - aber leider sind die Vitrinen und Sehschlitze für Rollstuhlfahrer nicht einsehbar - und die Tonbildschau im Obergeschoss ist nur über eine Treppe oder einen steilen Weg von außen erreichbar. Die ganze hochambitionierte Designerpracht ist nicht barrierefrei - das ist einfach nur ärgerlich!
Gegenüber liegt der Weiler Schornen mit einer Kapelle und einer kleinen Wassermühle.
Nachmittags fahren wir weiter zu unserem letzten Übernachtungsort Luzern. Nach den vielen idyllischen ländlichen Orten und Alpen, die wir gesehen haben, müssen wir uns erst an den großstädtischen Touristenrummel in Luzern gewöhnen - ganze Busladungen von Chinesen und Indern sind mit ihren Selfiesticks unterwegs und bestaunen die Kapellbrücke und andere Sehenswürdigkeiten in der Stadt.
Die mittelalterliche Kapellbrücke über den Fluss Reuss wurde um 1365 als Teil der Stadtbefestigung von Luzern erbaut. Der achteckige Wasserturm ist noch älter, er entstand um 1300. 1993 wurde die Brücke durch einen Brand weitgehend zerstört und anschließend unter Erhaltung der stehengebliebenen Teile wiederaufgebaut. Der Wiederaufbau wurde von Heinz Pantli bauhistorisch betreut und geleitet.
Prächtige Häuser der Altstadt bilden den Hintergrund der Brücke.
Die Brücke ist eine kunstvoll gezimmerte Holzkonstruktion. In den Dachbindern mit angeblatteten Streben hingen insgesamt 110 dreieckige Bildtafeln von Hans Henrich Wägmann aus dem frühen 17. Jahrhundert, von denen 86 bei dem Brand zerstört wurden.
Die dreieckigen Bilder erzählen die Geschichte der Stadt Luzern aus der Sicht der Gegenreformation - katholische Propaganda in der überwiegend evangelisch-reformierten Schweiz.
Einige Bilder an den Enden der Brücke überstanden die Brandzerstörung von 1993.
Die überdachte Holzbrücke ist die zweitlängste erhaltene in der Schweiz, sie diente ursprünglich als Wehrgang über dem Wasser.
Von der Brücke sieht man das Zunfthaus der Pfister (Bäcker) mit wiederhergestellter Fassadenmalerei der Renaissance.
Rechter Zugang zur Kapellbrücke, im Hintergrund der Wasserturm. Zahlreiche Touristen, darunter viele Inder und Chinesen, bestaunen die Brücke.
Auch im Giebel befindet sich ein gemaltes Bild aus dem 17. Jahrhundert.
Mit einem gemeinsamen Abendessen im Hotel "Hofgarten" am Rande der Altstadt bedanken wur uns bei Benno Furrer und seiner Frau Elisabeth für die großartigen Führungen der letzten Tage.

Abendstimmung in Luzern am Vierwaldstätter See: Der alte Raddampfer "Wilhelm Tell" wurde zum schwimmenden Restaurant umfunktiorniert.
Ein letzter Blick auf die Kapellbrücke bei nächtlicher Beleuchtung
Fotos: Bernd Kunze; Texte: Heinrich Stiewe

zum Tag 10   –––>

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