12. April 2022

Heimatschutzstil – landschaftsgebundenes Bauen – Reformarchitektur. Ländliches Bauen zwischen 1900 und 1930

Barkenhoff, Heinrich-Vogeler-Museum

Die 34. Jahrestagung des Arbeitskreises für ländliche Hausforschung in Nordwestdeutschland und der Interessengemeinschaft Bauernhaus e.V., fand vom 18. bis 20. März 2022 in Worpswede statt. Tagungsort war die Bötjersche Scheune im alten Ortskern von Worpswede.


Das Thema in diesem Jahr: 

Heimatschutzstil – landschaftsgebundenes Bauen – Reformarchitektur.
Ländliches Bauen zwischen 1900 und 1930

Tagungsprogramm

Vorträge:

Samstag, 19. März
  • 9.00 Uhr Begrüßung, Grußworte
  • 9.15 Uhr Wolfgang Dörfler: Vom Heimatschutz inspirierte Architektur im Zentrum des Elbe-Weser-Dreiecks (mit Einführung in die Tagungsregion)
  • 9.50 Uhr Jürgen Teumer: Carl Weidemeyers Weg von Worpswede nach Ascona – oder: Vom Heimatstil zum Neuen Bauen
  • 10.40 Uhr Heinz Riepshoff: Kulturkampf – Jugendstil und Reformarchitektur gegen Gründerzeit
  • 11.20 Uhr Klaus Stanjek: Die Landhaus-Architektur der Brüder Schulze in Worpswede und Fischerhude
  • 11.45 Uhr Kirsten Freytag: Der Architekt Willhelm Matthies (1867-1934) – Heimatstil in der Lüneburger Heide
  • 12.10 Uhr Klaus Freckmann: Beispiele des Heimatschutzstils in Brandenburg, insbesondere das Restaurant „Seekrug“ am Templiner See bei Potsdam

Sonntag, 20. März
  • 9.00 Uhr Heidrun Bernitt: Bruno Möhring (1863 -1929): Siedlungen in Oberhausen und Lauchhammer
  • 9.25 Uhr Zofia Durda: „Schule Tessenows“ und „Einfühlungsvermögen (...) in den Baugeist des Südens“. Theodor Wielands Bauten in Palästina und Australien
  • 9.50 Uhr Robert Gahde: Zwischen Bauverwaltung und Heimatschutz. Werner Lindner als Regierungsbauführer in Bremen, Eberswalde und Stade
  • 10.15 Uhr Thomas Spohn: Bodenreform, Innere Kolonisation und Neubauernhöfe der Siedlungsgesellschaften 1919 bis 1932
  • 11.00 Uhr Michael Schimek: Heimatschutzarchitekturen im Land Oldenburg: Grundgedanken, Vermittlungsinstanzen, Ausprägungen
  • 11.25 Birte Rogacki-Thiemann: „Es ist dies eine Anlage, die sich den englischen Landhäusern würdig an die Seite stellen lässt und einen ungemein malerischen Eindruck macht, besonders durch das große, meist bis auf das Erdgeschoss herabgezogene Rohrdach.“ Der Haghof von Ferdinand Eichwede in Isernhagen bei Hannover
  • 11.50 Uhr Hans-Joachim Turner: Auf Spurensuche nach einem Architekten großer Bauernhäuser des ländlichen Heimatstils am Rande der Nordheide
  • 12.15 Uhr Christian Schulte: „Das grüne Haus im Paderborner Land“ – Fechtstraße Nr. 7 von 1935 in Lichtenau-Husen
  • 12.40 Uhr Meike Mühlbauer, Stefan Hofmann: Ein Brandenburger Neubauernhaus von 1947 – ein Baustellenbericht
  • 13.05 Uhr Volker Gläntzer, Erhard Pressler, Elisabeth Sieve: Neues aus dem 15. und 16. Jahrhundert – ein Arbeitsbericht aus dem Artland
  • 13.25 Uhr Abschlussdiskussion; Vorbereitung der Tagung 2023

Exkursion:

Samstag 12.30 Uhr: Busexkursion nach Fischerhude, Worphausen und Lielienthal-Mittelbauer 

Kennenlernen des Tagungsortes am Ankunftstag

Die Teilnehmer der Tagung versammeln sich
zur ersten Ortsführung durch Worpswede am Freitag Nachmittag.

1895 bis 1904 lebte Fritz Mackensen in diesem Haus in Worpswede.

Frühere Schule in Worpswede

Interessante Backsteinkunst ...

... und Spruchtafel an der ehemaligen Schule (1895)

Zionskirche Worpswede

Friedhof neben der Zionskirche mit interessanten historischen Grabsteinen.
Der Worpsweder Friedhof entstand ab 1759 mit dem Bau der Zionskirche.
Auf ihm haben mehr als 80 Kunstmaler, Schriftsteller, Musiker und Kunsthandwerker
ihre letzte Ruhestätte gefunden. 

Besichtigung der Zionskirche, die nach Plänen des Hofbaumeisters
Johann Paul Heumann aus Hannover
unter Leitung von J.C. Findorff errichtet und 1759 eingeweiht wurde.

Paula Modersohn-Becker schuf die Dekoration an den Bögen,
die die Empore tragen.

Modell eines Torfkahns als Votivschiff in der Kirche.

Eine Kopie des Großgemälde "Gottesdienst im Freien" von Fritz Mackensen
an der Außenmauer der Kirche. Eine Auszeichnung dieses Gemäldes 1895 leitet
den schnell wachsenden Ruhm des Künstlerdorfs und die Etablierung
des Namens Worpswede in der deutschen Kunstlandschaft ein.

Das zwischen 1916 und 1919 von Bernhard Hoetger
errichtete Grabmal "Werden und Vergehen" für Paula Modersohn-Becker.
Der Niedersachsenstein bei Worpswede soll an die im 1. Weltkrieg gefallenen Soldaten erinnern.
Entworfen und gebaut wurde dieses monumentale Denkmal unter der Leitung
des Künstlers Bernhard Hoetger (1874 - 1949). Die Einweihung erfogte1922.

Backsteinkunst am Niedersachsenstein ... 

... und am Eingang zur "Käsesglocke".
Unbrauchbarer Ausschuss wurde hier in Kunst verwandelt.

Leider konnte die Käseglocke, ein früheres Wohnhaus
und seit 2001 Museum für angewandte Kunst und Kunsthandwerk,
pandemiebedingt nicht von innen besichtigt werden.
Sie wurde 1926 nach Plänen von Bruno Taut und Edwin Koenemann erbaut.

Der "Barkenhoff" ist ein Werk Heinrich Vogelers und beherbergt
ein Museum über Leben und Werk dieses Künstlers.
Er war ursprünglich ein Bauernhaus, aus dem Vogeler in den Jahren
nach 1894 dieses Jugendstilensemble erschuf.
Die Gartenanlage ist im gleichen harmonischen Stil gestaltet.
Leider war auch hier keine Besichtigung der Innenräume möglich.

Etwa 10 Jahre nachdem Heinrich Vogeler den Barkenhoff errichtet hatte,
begann Bernhard Hoetger, den bäuerlichen Brunnenhof 
zu einem repräsentativen Atelierhaus umzugestalten.
Das weiträumige Grundstück legte er als Park und Skulpturengarten an.
Nach einem Brand 1924 und dem Wiederaufbau erhielt das Anwesen den Namen Diedrichshof. 
Den Diedrichshof kennzeichnet wie auch den Barkenhoff ein zentraler bestimmender Giebel. 
Dadurch wird das Haus zu einem einladenden architektonischen Gesamtkunstwerk.
Haus Diedrichshof ist heute ein Tagungshotel.

Gruppenbild der Tagungsteilnehmer im Garten des Diedrichshofs.

Der Brünjeshof ist ein ehemaliges Bauernhaus.
1900 wurde hier ein Atelier für Paula Modersohn-Becker eingerichtet
und für bessere Lichtverhältnisse extra ein Oberlichtfenster eingebaut.

Rückwärtige Ansicht des Brünjeshofes –
Wintergarten mit vielfach gesprossten Fenstern.

Die Gaststätte "Kaffee Worpswede" entstand 1925 als Teil der expressiven Architektur, die der Bildhauer Bernhard Hoetger mit Unterstützung seines Mäzens, des Bremer Kaffeekaufmanns Ludwig Roselius, realisierte. Seit mehreren Jahren ist das "Kaffee Worpswede" wegen Renovierung geschlossen.

Künstlerische Terrassengestaltung am "Kaffee Worpswede".

Auch hier wurde der Ausschuss beim Brennen
als gestalterisches Element verwendet.

"Kaffee Worpswede" von Bernhard Hoetger, Vorderansicht. Im Dorf wurde das Gebäude auch "Kaffee Verrückt " genannt.

Künstlerische Holz- und Ziegelmauerwerksgestaltung:
"Wer't mag ..." schrieb der Künstler in den Giebelbalken.

Unser Tagungslokal, die Bötjersche Scheune – Außenansicht ...

... und Innenansicht.
Die denkmalgeschützte, ehemals vom Zerfall bedrohte
Bötjersche Scheune aus dem 19. Jh. wurde von der Stiftung Worpswede
mit großem finanziellen Aufwand und mit Unterstützung der Bevölkerung
zu einem wichtigen Veranstaltungsort für Worpswede entwickelt.
Das historische Ambiente einer Durchfahrtsscheune
in Fachwerkbauweise mit dem hohen, hellen und ästhetischen Innenraum
wird für Veranstaltungen aller Art genutzt.
Das Ortsbild der Urzelle des Künstlerdorfes wird dadurch
in traditioneller Weise erhalten und fortgeführt.

Die Teilnehmer der Tagung lauschen interessiert den Vorträgen
zum Thema "Reformarchitektur".

Lasse ist seit vielen Jahren ein treuer Tagungsteilnehmer.

Erfahrungsaustausch in der Kaffeepause bei wunderbarem Wetter
an der Bötjerschen Scheune.

Hofanlage an der "Bauernreihe" in der Nachbarschaft des Tagungslokals.

Überrenoviertes Backstein-Bauernhaus an der "Bauernreihe".

Versteinerter Giebel mit Mauerankerziffern datiert 1956
am Hof neben der Bötjerschen Scheune.

Niederdeutsches Hallenhaus – heute ein Möbelgeschäft.

Backsteinkunst am Bauernhausgiebel.


Die beeindruckende Konstruktion des Hallenhauses
gibt dem Möbelgeschäft einen ehrwürdigen Rahmen.
Am Innengerüst sind mehrere Bauphasen zu erkennen.

Exkursion der Tagungsteilnehmer nach Fischerhude


Frühlingsstimmung an einem "Sträk" der Wümme in Fischerhude.

In zwei Gruppen erkunden die Tagungsteilnehmer das Dorf.
Dieser traditionelle Hof mit einem Bauernhaus mit einem
für die Region typischen Fachwerkgiebel fügt sich harmonisch in die Landschaft ein.

Ein kleines Bauernhaus ist im Umbau begriffen ...

... und der Architekt erläutert uns die Baumaßnahmen.

Die Wassermühle im alten Ortskern wurde 1809 erbaut
und befindet sich heute in Privatbesitz.

Wasserseitige Ansicht der Mühle –
das Wasserrad ist nicht mehr vorhanden.

Zum Tagungsthema passendes Haus von 1907.

Die Wetterfahne verrät das Baudatum.

Eingangsbereich mit modernen,
aber vielfach gesprossten Fenstern.

Eine der traditionellen Fachwerkscheunen,
wie sie vielfach in dieser Region zu finden sind.

Detail an der Scheune.

Verfallenes ...

... und gut Erhaltenes dicht nebeneinander.

Liebfrauenkirche Fischerhude,
1841 im spätklassizistischen Stil errichtet.

Kunstvolle Backsteingestaltung am Glockenturm von 1863/64.

Zurückhaltende Innenraumgestaltung des Kirchenschiffs.

Kirchhofmauer mit Grabsteinen vom Friedhof der Kirche Wilstedt.

Grabsteinkunst aus dem 17. Jahrhundert. 

Dorfmittelpunkt und Bauernhausmuseum: Heimathaus "Irmintraut"

Das Heimathaus "Irmintraut" gehört zu den 18 alten Höfen Fischerhudes, die sich in Größe, Besitzverhältnis und Rechtsstellung von den übrigen Hofstellen unterschieden.
Auf dem Torbalken des Zweiständer-Hallenhauses befindet sich eine Inschrift, welche das Fertigstellungsdatum 3. Mai 1768 angibt. Diese Inschrift bezieht sich wohl auf eine zu der Zeit vorgenommene Fassadenerneuerung.
Das Heimathaus ist der Initiative des aus Fischerhude stammenden Ehepaares Hinrich und Gertrud Schloen zu verdanken, die ihm den Namen ihrer 1930 im Alter von 8 Jahren verstorbenen Tochter gaben. Mit dem Haus wollte das Ehepaar einen Dorfmittelpunkt schaffen, um „Heimatsinn und Volkstumsbewußtsein“ zu fördern. 1934 wurde es für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht.


Ensemble des Bauernhausmuseums unter großen Eichen.

Sandsteinbrunnen, wie er links und rechts der Weser im Bremer Raum üblich ist.

Backhaus mit außenliegendem Backofen.

Eingang zum Backhaus.

Heinz Riepshoff illert ins verschlossene Backhaus. 

Schafstall

Das Heimathaus "Irmintraut" ist ein großes niederdeutsches Zweiständer-Hallenhaus.

Im Haus fühlt man sich in die Zeit des 19. Jahrhundert zurückversetzt.
Das Flett ist mit dem hier üblichen Kieselsteinfußboden ausgelegt. 

Feuerstelle mit einem Rähm mit realistisch ausgeführten Pferdeköpfen.

An der Herdwand hinter der Feuerstelle hängt der Salzkasten.
Die Öffnung ist groß genug,
dass die Hausfrau mit der ganzen Hand hineingreifen kann.

Kräftige Kopfbänder im Längs- und Querverband.

Blick auf die Herdwand mit den Türen zum Kammerfach.

Brücke über den südlichen Arm der Wümme

Vorletzter Besichtigungspunkt der Exkursion:
Lilienhof Worphausen

Hofanlage Lilienhof.

Das Bauernhaus stammt aus dem Jahr 1651
und stand in Wulmstorf bei Thedinghausen.
Es wurde 1980 an seinem ursprünglichen Standort abgetragen,
zunächst eingelagert und 1984/85 auf dem Lilienhof wieder aufgebaut.

Der Giebel des Bauernhauses weist typische Schmuckelemente auf,
die im Amt Thedinghausen sehr verbreitet sind. 

Herdrähm mit stilisierten Pferdeköpfen.

Die Tagungsteilnehmer bei der Führung auf der Diele des Bauernhauses
mit dem mächtigen Hausgerüst.

Schafstall aus Rockstedt bei Zeven.

Das Backhaus stammt aus dem Jahr 1738 aus Martfeld-Kleinenborstel.
Es wurde 1981 dort abgetragen und 1983 hier wiedererrichtet.

Der Spieker stammt aus dem Jahr 1720.
Er wurde 1987 in Martfeld-Hustedt abgetragen
und 1990 auf dem Lilienhof wieder aufgebaut.

Das heutige Handwerkermuseum auf dem "Lilienhof" 
war ursprünglich ein Viehstall auf dem Siebenmeyerhof in Magelsen, 
Landkreis Nienburg, Baujahr 1747i.

Im Handwerkermuseum werden verschiedene alte Gewerke
lebendig gehalten ...

... wie z. B. der Handsatz mit Bleibuchstaben.
Bei Kathrin, die den Beruf der Schriftsetzerin erlernt hatte,
 kamen nostalgische Gefühle auf.

Die regionale Spezialität, der Butterkuchen,
mundete vorzüglich zum Kaffee.

Letzter Besichtigungspunkt der Exkursion:
ein Bauernhaus in Lilienthal-Mittelbauer
in Umbauplanung

Das Haus wurde erhöht auf einer Warft errichtet.

Befensterter Steilgiebel mit der Groet Door.
Im Torbogen findet man Hinweise auf die Bauherren und die Bauzeit.

Das komplette Innengerüst ist erhalten.

Knotenpunkt des Innengerüsts.

Interessante Fragmente originaler Farbfassung.

Abschluss der Tagung am Sonntag:
Weitere Vorträge in der Bötjerschen Scheune


Das Team der Jugendbauhütte Stade sorgte umsichtig
für das leibliche Wohlergehen der Tagungsteilnehmer
und ist Wolfgang Dörfler von der Tagungsleitung ein großes Lob wert.

Das Worpsweder Bauernhaus, in dem heute das Rathaus befindet,
verabschiedet die Tagungsteilnehmer am Sonntag.

Fotos: Bernd Kunze, Texte: Kathrin Domeyer

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