1. April 2018

Hausforschertagung im Emsland: Tagungsthema Fenster

Diele des Hofes Banke

Die 30. Tagung des Arbeitskreises für Haus-und Gefügeforschung in Nordwestdeutschland, fand vom 16.-18. März 2018 in Gersten (Emsland) statt. Tagungsort war das Haus Feye, ein Bauernhaus von 1815.

Das Tagungsthema: Fenster

Physikalisch gesehen, sind Fenster Elemente von Wänden, die durchlässig sind für sichtbare elektromagnetische Strahlung – Licht -, aber was sagt das schon? Vor allem sind sie von allen nicht statisch konstruktiven Bauteilen des Hauses die funktionell wichtigsten. Vergleichsweise grazil und durch das Glas ziemlich fragil, dazu oft noch starker Bewitterung
ausgesetzt, erreichten sie häufig nicht die Lebensdauer des Gebäudes, so dass sie häufig ausgetauscht werden mussten und dabei technisch und modisch an den Zeitgeschmack angepasst werden konnten. Nach dem Richtfest – der Fertigstellung des konstruktiven Gerüstes – gab es ja auch das „Fensterbier“, bei dem die mit dem Einsetzen der Fenster erreichte Bewohnbarkeit feierlich begangen wurde. Leider sind im Gegensatz zu den meist soliden Richtfestinschriften wohl die meisten materiellen Zeugen dieser zweiten Feste – die Bierscheiben – zerstört, in der Regel mitsamt den Fenstern, in die sie eingebaut waren.
Monographische Beschäftigungen mit dem Themenkomplex „Fenster“ sind noch im Gegensatz zur Bedeutung diese Bauteils immer noch selten; Fenster werden oft nur im Kontext von umfassenderen Bauuntersuchungen behandelt. Das ist uns Anlaß genug, in unserem Kreise einmal zusammenzutragen, was wir über Fenster in Volks- und Profanarchitektur in Nordwestdeutschland eigentlich wissen. Um einmal einige Gesichtspunkte zu benennen, die mir einer Bearbeitung wert erscheinen und als Gerüst für eine Strukturierung des Programmes dienen könnten:
  • „Windzuge oder Ruten: Lichtöffnung, Luftöffnung oder beides?“ Zur Entwicklung von Funktion, Gestaltung und Technik im Lauf der Zeit
  • „Zum Durchgucken, zum Belichten oder zu beidem?“. Unterschiedliche Fenster und Fensteranordnungen für unterschiedliche Zwecke „Die Augen des Hauses“: Fenster als gestalterische und modische Elemente in der Innen- und Aussenarchitektur
  • „Scherben bringen Glück“: Glastechnologie und Fensterkonstruktion.
  • „Schotten dicht“: Klappen, Schlagläden, Rolläden 
  • „Das Fenster als Kunstwerk“: Brandglas, Farbglas, Ätzglas, Sprossenbilder....
  • „Archäologie des Fensters“: Spurenlese am Bau nach Fenstern und Fensterformen, die aus einem Gebäude längst verschwunden sind.
Am ersten Tag wurde den Tagungsteilnehmern das Dorf Gersten vorgestellt, ein Mischung aus Haufendorf, Eschriegensiedlung und Streusiedlung, dessen wesentliche Elemente auf einem Rundgang erkundet wurde.
Erstes Objekt war der weitgehend restaurierte und komplett erhaltene Hof Banke, dessen Haupthaus 1734 errichtet und dann bis etwa 1950 fortgeschrieben wurde. Sein Nachbar ist etwa 40 Jahre jünger.
Der Rundgang führt uns durch den Ortsteil Obergersten; nach einer Kaffeepause ging es weiter durch Untergersten an Heuerhäusern vorbei, um in dem vor der Stiftung nach höchsten denkmalpflegerischen Standards museal restaurierten Hof Feye zu enden.
Freitag Nachmittag: Besichtigung für die schon früh angereisten
Tagungsteilnehmer/innen – der Hof Banke in  
Gersten von 1734 d/1821/1873
Nach und nach versammeln sich immer mehr Teilnehmer/innen
unter großem Hallo im Flett des Bauernhauses.
Wanddekoration im Flett
Sammlung von Schlössern und Ähnlichem 
reparierte Knagge unter dem Luchtbalken
eigentümlicher schräger Balken in der Herdwand
bebilderte Historie der Bauernhaussanierung
ziemlich lange geschweifte Kopfbänder auf der Diele
Bretterwand zwischen zwei Kammern


Die wieder hergerichtete Scheune wird begutachtet
Inschrift am Scheunengiebel: 1846 i, 17. Jh. d
Das schon einmal verkaufte und wieder zurückgekaufte Backhaus
von 1720 i an seinem ursprünglichen Standort
Knaggen am Backhausgiebel
Passt zum Tagungsthema: Rauchabzugsöffnung im Backhaus.
geniales Detail an der Backhaustür: Griffmulde in der Klaspe
Kammerfachgiebel mit krummen Ständern
Zimmermannszeichen
Gersten Nr. 9, Bauernhaus von 1775 d/1862 
profilierte Knaggen tragen die Vorkragung des Giebels
Auf jedem Deckenbalken dieses Hallenhauses
 findet sich eine Inschrift




Inschriften-Rätsel auf dem Torbalken
Haus-No. 2 g
Hausforscherspaziergang in der Dämmerung
zum nächsten Besichtigungsobjekt
unterwegs romantischer Verfall aufgegebener Gebäude im Wald
großes T-Haus … 
…  von 1904
Es wird dunkler – und die Häuser spannender …
… jetzt kommen die Taschenlampen zum Einsatz
"volles Haus"
wir sind im Land der Gabelständer
Gabelständer
Hausforscher-Diskussion im Dunkeln
Zurück im Tagungsbauernhaus: Nach einem Abendessen
führt uns ein spannender Vortrag in die Welt
des Heuerlingswesens in der Region Emsland ein.
Das Tagungshaus: 
Die Gemeinde Gersten im Emsland entstand aus den Bauernschaften Gersten und Drope. Im Heberegister des Klosters Werden an der Ruhr werden sie erstmals als „Gerustan“ und „Dorp“ im Jahre 890 erwähnt. Heute besteht Gersten aus sechs Ortsteilen. Das historische Haus Feye liegt im Bereich des alten Drope.
Das Haus wurde 1815 als niederdeutsches Hallenhaus in Vierständerbauweise über einem ehemaligen Torflager erbaut, auf das die heutigen Setzungsschäden zurückgeführt werden können. Das ehemalige Vollbauernhaus wurde nach 1900 als Heuerhaus umgebaut und genutzt, also als ein zu einem Bauernhof gehörendes Wohngebäude für Bedienstete. Im Inneren sind im Zustand von 1880 das Gefüge, die Wandfassungen und der alte Wohnteil erhalten. Historische Schablonen- und Freihandmalereien an den inneren Putzwänden werden auf 1860 datiert. Eine Seltenheit bilden die erhaltenen Wandbetten, die sogenannten Durken, die in den meisten Bauernhäusern bereits im frühen 20. Jahrhundert beseitigt wurden. Der Erhaltungszustand des Gebäudes stellt für das südliche Emsland eine Besonderheit dar. (Text aus dem Exkursionsflyer von Dietrich Maschmeyer).
Das restaurierte Haus Feye in Gersten, ein Vollbauernhaus von 1815.
Der Torbogen mit der Inschrift von 1815
Nach Befund wiederhergestellte Rotfassung der Außenfassade
Rekonstruierte Schiebefenster nach den Originalen von 1918
Diskussion um ein rekonstruiertes mittelalterliches Fenster. 
Interesse am Büchertisch
Auf dem Hof Feye in der Abenddämmerung …
… erklärt Dietrich Maschmeyer das im Bau befindliche Backhaus.
Besichtigung der Sammlung unter dem Dach des großen Bauernhauses …
… mit einer umfangreichen Sammlung von bäuerlichen Truhen
Hier auf dem Dachboden wird auch die Fensterhistorie
dieses Hauses ansehnlich präsentiert.  Eine nachahmenswerte Idee.
 
Große Zimmerer-Zählmarken an den Sparren.
Hübsches Türband aus dem 19. Jh.
Der Abend endet beim Bier im familiär-freundschaftlichen Gespräch.
Die Exkursion
Bei der Exkursion am nächsten Tag sehen wir eine der bedeutsamen Dorfkirchen der Region – nicht nur mit ihrem Dachwerk – in Lengerich.
Danach geht es in die kleine Stadt Fürstenau, die ab der Mitte des 14. Jh. als absolute Plananlage vor der westlichsten Osnabrücker Landesburg entstand.

Die reformierte alte Kirche in Lengerich … 
… und der dazugehörige Turm.




Schluss-Stein im Kirchengewölbe



Ein Gang durch Fürstenau
Der Zugang zur Burg Fürstenau
Das Torhaus der Burg
zweigeschossiges Haus Grosse Strasse 5, 1608 d
Vorkragung der Traufwand
auf die Dielen aufgemaltes Schachbrettmuster

Tapetengeschichte

Eleganz der Gründerzeit


Kopfband und Wanddekoration mit Scherenschnitt-Medaillons

liegender Stuhl im Dachgeschoss

Lastenaufzugsrad

Straßenzug in Fürstenau mit Blick auf das Hohe Tor (Stadttor).

Fachwerkgiebel eines Geschäftshauses …
… die sich zum Bogen vereinigenden Kopfbänder in der Traufseite
verweisen auf ein höheres Alter.
Handwerkerhäuser
Inschrift und Datierung von 1838 im Balken über der früheren Toreinfahrt
Nicht nur in ländlichen, auch in städtischen Konstruktionen findet man
 hier im Emsland die typischen Gabelständer
renoviertes giebelständiges Fachwerkhaus –
die frühere Toreinfahrt ist noch nachvollziehbar
Das Hohe Tor (früheres Stadttor) in Fürstenau –
Steinwerk-Expertin Caroline Prinzhorn erklärt das Bauwerk.

Das Gitterfachwerk im Giebeldreieck …
… scheint hier ein typisches Gestaltungselement zu sein.
Die evangelische Kirche ist eine Einschiffige Saalkirche, 
1606 ausgebrannt, danach verlängert wieder aufgebaut. 
Fenster in frühen 19. Jh. verändert. Turm um 1900,  
die schlichte Ausstattung des Kirchenschiffs.
der Kirchen-Dachstuhl von 1608

das Kirchengewölbe von oben
Die Burg Fürstenau auf der Insel

(DM) Nach dem Mittagessen geht es zu einem Kleinod der Region, dem ehemaligen Zisterzienserinnenkloster und heutigen Stift Börstel, das heute noch so einsam liegt wie im Mittelalter. Dort besichtigen wir neben Kirche, Kreuzgang und dem ehemaligen Dormitorium, dem Nonnenhaus, (alles aus Backstein!) auch den zum Kloster gehörenden Hof Vosseberg, auf dessen Bedeutung bereits Gerhard Eitzen hingewiesen hat.

Das Abteigebäude des Stifts Börstel
Wenige 100 Meter vom Stift entfernt liegt der
denkmalgeschützte Hof Vosseberg

Das ehemalige, im 19. Jh. nach Börstel versetzte Gebäude 
des Meierhofes in Menslage (sog. Haus Vosseberg) ca. 1575 d

Diele des Hallenhauses mit Blick auf die Herdwand

Hinter der Luke ist der Diele-Deckenbalken-Knotenpunkt zu sehen …

… wo sich Quer- und Längsverband treffen

Knagge unter dem Luchtbalken …

… auch hier gibt es Diskussionsbedarf

Der Kammerfachgiebel 
Kirche und Nonnenhaus des Stifts
Speicher und Pferdestall
der Pferdestall …

… 1684 gebaut, 1884 umgebaut und erneut umgebaut  1920.

… die Umbaumaßnahmen im Inneren sind gut nachzuvollziehen
Spoeicher
links die Rückseite des Pferdestalls und der Giebel 
des großen massiven Speichers …

  … das Dachwerk wurde auf 1552/3 d datiert … 


Materialästhetik
Baugeschichte in Backstein

Die Stiftskirche und links daneben das Nonnenhaus


Altar der Stiftskirche

gemalte Dekoration auf Holz …

… und auf Stein

Nonnenhaus (ehemaliges Dormitorium) Dach um 1515 d

Dachwerk des Nonnenhauses


Kreuzgang

Kreuzgang

Die interessante Exkursion am Sonntag endet hier.


Tagungsbericht: 


Vom 16. bis 18. März tagte der Arbeitskreis für ländliche Hausforschung in Nordwestdeutschland in Gersten (Landkreis Emsland), die Exkursion am Sonntag führte in das Burgstädtchen Fürstenau (Landkreis Osnabrück) und nach Stift Börstel, einem ehemaligen Zisterzienserinnenkloster bei Berge (Landkreis Osnabrück). Eingeladen hatten Dr. Dietrich Maschmeyer, Gründungmitglied unserer Vereinigung und früherer Vorsitzender der IgB, und die von ihm geleitete Ems-Vechte-Stiftung, die sich die Erhaltung des ländlichen gebauten Kulturerbes im Emsland auf die Fahnen geschrieben hat. Dietrich Maschmeyer hatte das Tagungsthema „Fenster und andere Öffnungen des Hauses“ vorgeschlagen und gemeinsam mit seiner Frau Andrea auch die Organisation auf die Schultern genommen, hervorzuheben ist ein gut funktionierender Bus-Shuttle-Service vom Bahnhof zu den Hotels der Umgebung und zum Tagungsort. Getagt wurde in den von der Ems-Vechte-Stiftung restaurierten Bauernhäusern Banke in Gersten und Feye in Gersten-Drope, die auch ausgiebig besichtigt und diskutiert werden konnten. Die Restaurierung der beiden Gebäude ist als „extensiv“ zu bezeichnen, sie erfolgte unter maximaler Erhaltung historischer Originalsubstanz. Das Ergebnis ist sehr authentisch und denkmalpflegerisch auf hohem Niveau, auf baulichen „Luxus“ wie Heizung oder Wärmedämmung im Wirtschaftsteil wurde dagegen verzichtet. Das rächte sich insbesondere am Vortragstag (17. März): Bei eisigem Ostwind und Außentemperaturen nahe am Gefrierpunkt war der Aufenthalt in dem historisch eindrucksvollen, aber praktisch unbeheizten Haus Feye für alle Tagungsteilnehmer eine Herausforderung. Erst als nach der Mittagspause eine mobile Zelt-Heizungsanlage herbeigeschafft war, ließ das große Frieren etwas nach. 


In die von ihm ins Leben gerufene Ems-Vechte-Stiftung hat Dietrich Maschmeyer u. a. die beiden genannten Höfe in Gersten mit ihren Nebengebäuden eingebracht; die Stiftung unterhält eine eigene Restaurierungswerkstatt für Fachwerkbauten und historische Möbel. So begann die Tagung am Freitag mit der Besichtigung des Hofes Banke in Gersten (Untergerstener Str. 4) mit einem restaurierten Zweiständer-Haupthaus des 18. Jahrhunderts und mehreren Nebengebäuden, u.a. einem Schweinestall, einer Querdurchfahrtsscheune und einem nach dreißigjähriger Einlagerung am Originalstandort wiederaufgebauten Backhaus. Anschließend begaben wir uns auf einen geführten Ortsrundgang in Gersten mit einer Kaffeetafel im Backhaus des gastfreundlichen Heimatvereins Gersten. 


Im Haupthaus des Hofes Feye in Gersten-Drope fanden anschließend die Grußworte und das Abendessen statt. Bei der Hausbesichtigung beeindruckte die sorgfältige Restaurierung insbesondere von Flett und Kammerfach mit originalen Schablonenmalereien aus dem 19. Jahrhundert. Imponierend war auch die umfangreiche Truhensammlung der Stiftung auf dem Dachboden des Hauses. Das Haupthaus des Hofes Feye, ein Dreiständer-Hallenhaus von 1815, war Anfang des 20. Jahrhunderts zu einem Doppelheuerhaus mit zwei Querdielen umgebaut worden. Unter der Leitung von Dietrich Maschmeyer wurde das Gebäude konsequent rekonstruiert und in seinen Urzustand von 1815 zurückgebaut – unter Verwendung zahlreicher originaler Gefügeteile, die im Gebäude in Zweitverwendung erhalten geblieben waren. Auch die bauzeitlichen Schiebefenster und die monochrome Rotfassung der Außenwände wurden nach Befund wiederhergestellt. Zuvor musste der Untergrund des Gebäudes, das auf einer Torflinse erbaut war und schwere Setzungsschäden aufwies, in aufwendigen Tiefbauarbeiten ausgetauscht und stabilisiert werden. 


Der Abendvortrag von Bernd Robben gab einen Überblick zum Thema „Heuerlinge und Heuerhäuser“, zu dem der Referent zwei erfolgreiche Bücher herausgegeben hat und die Webseite „www.heuerleute.de“ im Internet betreibt. Es kam dabei der Wunsch auf, das Thema Heuer- oder Häuslinghäuser (oder allgemeiner: Mietshäuser auf dem Lande) auf einer unserer nächsten Tagungen zu vertiefen.  


Das Vortragsprogramm am Sonnabend war mit 15 Referaten gut bestückt, aber von der bereits geschilderten Kälte überschattet. Aber Hausforscher/innen sind hart im Nehmen – eingepackt in Jacken, Mäntel, Schals und Decken lauschten wir tapfer den Vorträgen zum Tagungsthema „Fenster“. 


Dietrich Maschmeyer gab einen einführenden Überblick mit zahlreichen, von ihm selbst aufgemessenen und dokumentierten Beispielen aus dem Münster- und Emsland. Rätselhaft blieben die „N-Nummern“ an Torbögen von Bauernhäusern im nördlichen Landkreis Osnabrück, die Jens Kotte etwas abweichend vom Tagungsthema vorstellte. Um Hausnummern handelt es sich eindeutig nicht, diskutiert wurde, ob sie mit der steuerlichen oder brandversicherungsmäßigen Klassifizierung von Haupt- und Nebengebäuden oder der Rekrutierung von Soldaten zusammenhängen. Hier ist weitere, quellenbasierte Forschung notwendig. Peter Barthold stellte hochinteressante Befunde der westfälischen Denkmalpflege zu romanischen und gotischen Holzfensterrahmen vor, die eingemauert in mittelalterlichen Kirchen bis heute überlebt haben. Einen skandinavischen Blick auf Fenster aus ethnologischer Sicht bot der englischsprachige Vortrag „Windows and light in medieval buildings in the regions of Uppland and Gotland, Sweden“ von Linda Quiström von der Universität Uppsala (Schweden). Weitere Überblicke über die Vielfalt historischer Fensterformen im städtischen und ländlichen Fachwerkbau schlossen sich an. Heinrich Stiewe zeigte die Entwicklung des Fensters im Fachwerkbau Westfalens von schlichten Licht- und Lüftungsluken über hölzerne Kreuzstockfenster bis zu großflächigen bleiverglasten Fensteranlagen in den Küchen von neuzeitlichen Bürgerhäusern, ländlichen Gasthöfen und Bauernhäusern – die schließlich seit dem 18. Jahrhundert von englischen Schiebefenstern und später von den heute bekannten Drehflügelfenstern mit Holz- oder Eisensprossen abgelöst wurden. Nils Kagel konnte „funktionale und soziale Aspekte des Fensters im ländlichen Profanbau Schleswig-Holsteins“ mit aufschlussreichen baulichen Befunden und archivalischen Quellenbelegen untermauern. Eine Spurensuche von Josef Pollmann zu älteren Häusern und Fenstern in Dörfern im Warthebruch im heutigen Polen schloss sich an. Einen weiteren Ausflug in die Weiten Europas bot Heinz Riepshoff mit seinem Vortrag zu Fenstern in Siebenbürgen, der auf eigenen Forschungen vor Ort im Sommer 2012 beruhte.


Nach der Mittagspause stellte Michael Goran am Beispiel der Sammlung des Emslandmuseums in Lingen den „alten Brauch der Fensterbierscheiben im Emsland“ vor. Dabei handelt es sich bemalte Fensterscheiben mit Wappen, ländlichen Motiven und Sinnsprüchen, die zum traditionellen „Fensterbier“ zur Einweihung eines Hauses von Nachbarn und Freunden geschenkt wurden. Wolfgang Dörfler stellte „hölzerne Luken und Fenster mit bleigefassten Scheiben an Häusern im Landkreis Rotenburg (Wümme)“ vor, die die vorgestellten Beispiele weiter ergänzten. Dirk Wübbenhorst gab einen informativen Überblick zu „Fensteröffnungen an Bauernhäusern im Wendland“. 


Nach der Kaffeepause folgte Carlo Jengember (Belgien) mit einem volkskundlich interessanten Beitrag zu „Totentüren und Totenfenstern in Europa, insbesondere in Flandern“, der manche „Brand- oder Brauttür“ am Kammerfachgiebel von norddeutschen Bauernhäusern in anderem Licht erscheinen ließ – die lebhafte Diskussion zu diesem Thema sollte möglichst mit konkreten Quellenbelegen fortgesetzt werden. Der Restaurator Christian Schulte stellte seinen behutsamen Umgang mit den historischen Türen und vertikalen Schiebefenstern an den herausragenden Wohngebäuden der frühindustriellen Unternehmerfamilie Harkort in Hagen-Haspe (Westfalen) von 1681-86, 1705 und 1756-57 vor. Erhard Pressler präsentierte mit den historischen Fenstern am „Degode-Haus“, einem Backstein-Bürgerhaus von 1617 in Oldenburg, einen weiteren interessanten Einzelfall. Der lange Vortragstag schloss mit einem Beitrag von Hans Turner über „die Luke“ an Scheunen in der Nordheide und im Landkreis Rotenburg/Wümme, der zu den ländlichen Wurzeln der Fenster zurückführte.

Kurzfassungen aller Referate waren als 12-seitige, bebilderte Broschüre den Tagungsunterlagen beigegeben, darunter auch Kurztexte zu drei leider ausgefallenen Vorträgen (Stefan Krabath: Das Fenster im archäologischen Befund – Ein Überblick; Ulrich von Damaros: Ein einzigartiger Neufund von Fensterbierscheiben des späten 16. Jahrhunderts aus Schloss Arensburg, Landkreis Schaumburg; Bartold Köster: Fenster in der Denkmalpflege). Eine 36-seitige, reich bebilderte Broschüre aus der Feder Dietrich Maschmeyers zu seinem Einführungsreferat und zu den auf der Exkursion am Sonntag besuchten Objekten in der Stadt Fürstenau ergänzten die Tagungsunterlagen. 


Die Exkursion am Sonntag führte zunächst in die gotische, evangelisch-reformierte Kirche von Lengerich (Landkreis Emsland) mit bedeutenden Wandmalereien und älterer Ausstattung. Anschließend wurde das fürstbischöflich-osnabrückische Burgstädtchen Fürstenau (Landkreis Osnabrück) besucht. Bei strahlendem Wetter und weiterhin eisigem Ostwind besichtigten wir die Stadt mit dem „Hohen Tor“, einem erhaltenen Torturm, einigen interessanten Fachwerkbauten des 16. und 17. Jahrhunderts und die große, bis heute von Wällen, Bastionen und breiten Wassergräben umgebene Burganlage der Osnabrücker Fürstbischöfe. Interessante Einblicke bot ein Nebengebäude der Burg mit früheren Gefängniszellen, das gerade umgebaut wurde. Ungewöhnlich war auch der Umbau eines Flügels der Kernburg zu einer katholischen Kirche im 19. Jahrhundert (erweitert 1924), der frühere Bergfried mit seiner mächtigen, kupfergedeckten Zwiebelhaube dient heute als Glockenturm. Der schlichte, korbbogig gewölbte Innenraum der Kirche beeindruckt mit barocken Altären und Ausstattungsstücken aus aufgelösten Klöstern in Rheine und Malgarten. 


Nach dem Mittagessen wurde das frühere Zisterzienserinnenkloster und heutige freiweltliche Damenstift Stift Börstel bei Berge (Landkreis Osnabrück) besucht, bis heute in für Zisterzienserklöster typischer Waldeinsamkeit. Die frühgotische Backsteinkirche aus dem 13. Jahrhundert mit Unterkirche und Nonnenempore wurde ebenso besichtigt wie zwei erhaltene, teilweise noch mittelalterliche Klausurgebäude mit dem Kreuzgang, von denen der barock überformte Westflügel aktuell behutsam umgebaut wird. Unter den erhaltenen Wirtschaftsgebäuden des Klosters erregten ein Speicher aus großen Granitquadern und ein „Bauhaus“, ein Vierständerbau von 1690, die besondere Aufmerksamkeit der Hausforscher. Ein abschließender Höhepunkt war ein Pachthof des Klosters mit dem im 19. Jahrhundert translozierten Haupthaus des Hofes Meyer zu Menslage im Artland. Der große, aus sehr kräftigen Eichenhölzern in höchster Qualität gezimmerte Zweiständerbau aus dem 16. Jahrhundert, der bereits von Gerhard Eitzen untersucht und kürzlich von Erhard Pressler 1567-70 (d) dendrodatiert werden konnte, fand das besondere Interesse der Haus- und Gefügeforscher, konnte aber wegen seiner abgelegenen Lage nicht mehr von allen Exkursionsteilnehmern erreicht werden. 


Abgesehen von der außergewöhnlichen Kälte, die allen Teilnehmer/innen in Erinnerung bleiben wird, gab die Gerstener Tagung einen interessanten und detailreichen Überblick zum Forschungsstand zu Fenstern im ländlichen und städtischen Hausbau in Nordwestdeutschland – mit interessanten Ausblicken auf den mittelalterlichen Sakralbau und auf den Hausbau in europäischen Nachbarländern wie Schweden, Polen und Rumänien. Eine Publikation der Vorträge in einem Tagungsband wäre überaus wünschenswert.


Wolfgang Dörfler und Heinrich Stiewe


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