28. Mai 2019

Unterwegs in Ostfriesland: Granitquaderkirchen und Gulfhöfe

Granitquadermauerwerk der Kirche in Sandel
Heute sind wir in Ostfriesland unterwegs. Mehrere romanische Kirchen aus Granitquadern und einige Gulfhöfe, die Volker ausgewählt hat, stehen auf dem Programm. Die Wohnteile der Gulfhöfe enthalten alte Zweiständer-Innengerüste als Relikte älterer, hallenhausähnlicher Gulfhaus-Vorläufer.
Morgens um halb neun beginnen wir mit der Kirche von Hohenkirchen. Die einschiffige, langgestreckte Saalkirche mit Balkendecke und erhaltener halbrunder Apsis ist ein besonders gut erhaltenes Beispiel einer romanischen Granitquaderkirche.

Hohenkirchen, Ansicht der Kirche mit Apsis 
und separatem Glockenstapel von Südosten 
Romanischer Taufstein aus hellem Sandstein, um 1160-70
Auch diese Kirche besitzt eine hochwertige Ausstattung mit einem lutherischen Altarretabel und einer Kanzel des Hamburger Bildhauers Ludwig Münstermann von 1620. Mittelpunkt des Altars ist die vollplastisch geschnitzte Darstellung des letzten Abendmahls.
Dachwerk der Kirche in Hohenkirchen, um 1206 (d)
Sparren mit eingeschnittenen Flößer- oder Händlermarken 
Außenwand aus sorgfältig gespaltenen und versetzten Granitquadern
Weiter geht es zu dem hochmittelalterlichen Wurtendorf Wüppels. Hier hat das Institut für historische Küstenforschung ein mittelalterliches Bauernhaus aus der Zeit um 1150 ausgegraben.


Schon länger geschlossen: Die Dorfkneipe "Wüppelser Hof", im Hintergrund die romanische Backesteinkirche mit Glockenstapel. Wir besuchen das frühere Pfarrhaus gegenüber, ein ehemaliges Gulfhaus, von dem der Wohnteil erhalten geblieben und restauriert worden ist. 
Innnengerüst in der Wohnküche des Wohnteils von 1667 (d), ähnlich dem Flett eines Hallenhauses. Die Zwischendeckenbalken sind mit u-förmigen Eisen (links) unter dem nicht sichtbaren Rähm aufgehängt - ähnlich wie bei den legendären "Schwimmdachhäusern" der ostfriesischen Inseln, deren Dächer nicht wirklich schwimmen können.
Treppe zur "Kellerstube" - mit Stufen auf den Flügeln einer Kellerluke.
Mit dem interessierten Eigentümer diskutieren wir 
die Pläne und Bauphasen des Gebäudes. 
Anschließend bewirtet uns die Mutter des Hausherrn mit Tee - 
wir genießen die ostfriesische Lebensart. 
Ein weiterer Gulfhof in Oldorf, Uthausen 2 
Hier begrüßt uns die Eigentümerin, Frau Albers, die als letzte 
ihrer Familie den Hof bewohnt und instandhält.
Blick auf den Wohnteil und die Rücksteite des Nebengebäudes (links).
Hausmarken und plattdeutsche Inschrift mit Jahreszahl 1623 
im Haus, angebracht vom Vater der Eigentümerin. 
Auch hier besitzt der Wohnteil ein tragendes Zweiständer-Innengerüst, 
das in der Küche in Teilen sichtbar ist.
Alte Fotos künden von der Geschichte des Hofes Albers in Oldorf.
Wir besichtigen die mächtige Gulfscheune, 
deren drei mittlere Gebinde von 1655 (d) stammen.
Ein selbstgebauter "Dunstabzug" über der Küche
Wohnteil mit beschnittenen Linden, links die höhere Gulfscheune 
Zum Hof gehört dieses frühere Arbeiterhaus, 
ein kleines Gulfhaus, das heute leersteht.
Mittags sind wir mit Dr. Antje Sander, der Leiterin des Schlossmuseums in Jever, verabredet. Wir besuchen das Schloss, in dessen Innenhof sich der eindrucksvolle "Dicke Turm" mit einer barocken Turmhaube erhebt.
Schloss Jever, Ansicht vom Vorplatz 
Antje Sander erläutert uns die Baugeschichte des Schlosses.
Der mittelalterliche "Dicke Turm" ist ein mächtiger Rundturm 
in der Mitte des Schlosshofes.
Im Schloß gibt es erhaltene Prunkräume aus dem 16. bis 19. Jahrhundert. Herausragend ist der "Audienzsaal" mit einer prachtvollen Renaissance-Kasssettendecke aus der Zeit um 1560 (d).
Detail der Kassettendecke aus hochwertigem Eichenholz (Wagenschott) 
mit feinem Schnitzwerk der Renaissance. 
Die Wände sind mit wertvollen Goldleder-Tapeten des 17. Jahrhunderts 
bekleidet. Auf dem Gemälde ist Katharina II., Zarin von Russland abgebildet.
Geschnitzte Konsole der Kassettendecke
Galerie mit Porträts der Jeverländer Grafen und Oldenburger 
Herzöge, mit "pompejanischer" Tapete der Zeit um 1830 
Gobelinsaal mit wertvollen Brüsseler Gobelins 
aus dem späten 17. oder frühen 18. Jahrhundert
Nachmittags besuchen wir einen weiteren Gulfhof in Breddewarden und noch zwei Kirchen in Schortens und Sandel.
Der Wohnteil des Gulfhofes in Breddewarden enthält ein älteres Steinhaus aus der Zeit um 1585. Reste der früheren schmalen Fenster sind im Rückgiebel (links) sichtbar. Das Haus besaß einen älteren Vorgängerbau mit Zweiständer-Innengerüst.
Der Eigentümer hat das Haus, das bereits teilweise eingestürzt war, mit Beratung durch Volker Gläntzer und mit Unterstützung der Denkmalpflege restauriert. 
Die Ständer im Scheunenteil bestehen aus jeweils zwei Ständern, die um 1650 aus dem älteren Innengerüst des Vorgängerbaus wiederverwendet worden sind. Die Ständer sind in Längsrichtung durch ein langes, schräges Blatt verbunden. 
Blick in den Scheunenteil des Gulfhofes.
Ständer mit Zweitverwendungsspuren einer früheren Ankerbalkenzimmerung
Wohnteilgiebel mit Spuren von Fenstern eines älteren Steinhauses aus der Zeit um 1585.
In Breddewarden testen wir Bernds Drohne und machen einige Luftaufnahmen des besuchten Hofes und des mittelalterlichen Wurtendorfes.


Luftaufnahme des besuchten Gulfhofes, links der schmalere Wohnteil. 
Das mittelalterliche Wurtendorf Breddewarden aus der Luft.
Die Kirche in Schortens wurde um oder nach 1150 aus Granitquadern und rheinischem Tuffstein erbaut. Der Westturm stürzte 1661 ein und wurde um 1730 durch einen freistehenden Backsteinturm vor der Kirche ersetzt. Hier treffen wir die Kirchennführerin Ingeborg Nöldecke, die ihre Kirche in allen Einzelheiten kennt und erforscht hat.
Innenraum der Kirche mit Balkendecke und erhaltenem Lettner (15. Jh.).
Höhepunkt der Ausstattung ist dieser spätgotische Flügelaltar, 
dendrodatiert kurz nach 1502.
Blick von der Orgelempore in den Kirchenraum
Blick ins Dachwerk der Kirche...
...das romanisch aussieht, aber erst 1442 (d), wohl nach dem Einsturz 
der Nordwand der Kirche um 1360, erbaut worden ist. 
Blick auf die romanische Kirche und den mit geringem Abstand 
davor stehenden Turm aus der Zeit um 1730.
Die Nordwand der Kirche, die nach einem Einsturz um 1361, der angeblich von dem feindselig gesonnenen Häuptling Keno tom Brok durch Unterminierung ausgelöst worden ist, aus den alten Tuffsteinen, Granitquadern und neuen Backsteinen notdürftig wieder aufgemauert worden ist. 
Die letzte Kirche des Tages steht in Sandel bei Jever. Sie war im 17. Jahrhundert in Verfall geraten und wurde im 18. Jahrhundert mit Unterstützung der Grafen von Jever um etwa die Hälfte verkürzt wiederaufgebaut. Der schlanke Turm stammt aus dem 19. Jahrhundert.  
Das erhaltene Dachwerk besteht aus Hölzern der Zeit kurz 
vor 1200, wurde aber mindestens zweimal neu abgezimmert.
Mittelalterliche Kehlbalkenanblattung mit Abbundzeichen 
Die Experten diskutieren ausgiebig… 
Fotos: Bernd, Texte: Heinrich

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