23. März 1998

„Bautypologische Sonderformen in Stadt und Land”

Der Tagungsort: Schloß Bevern
9. Treffen der nordwestdeutschen Arbeitsgemeinschaft für Haus- und Gefügeforschung in Bevern/Ldkr. Holzminden

Dr. Wolfgang Dörfler IGB Rotenburg/Harburg
Der braunschweigische Weserdistrikt im Landkreis Holzminden lag in Sachen Hausforschung für die meisten der Teilnehmer aus ganz Norwestdeutschland bisher sehr weit am Rande ihrer Kenntnisse. Dem hat der bis 1997 zuständige Konservator Dr. Thomas Kellmann vom niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege im Verein mit den Helfern aus der Region entschieden abgeholfen. Wir bedanken uns für das ausgezeichnet organisierte Arbeitstreffen und erkennen nun, welches hochinteressante und erstaunlich altes Bauerbe diese Region zu bieten hat.
Die nordwestdeutsche Arbeitsgemeinschaft für Haus- und Gefügeforschung traf sich erstmals 1990 in Zeven und führt seitdem vagabundierende jährliche Frühjahrstagungen in Nordwestdeutschland durch. Es war zunächst ein Zusammenschluß der in diesem Teil Deutschlands und Hollands aktiven Hausforscher aus den Reihen der Interessengemeinschaft Bauernhaus (IGB) und des Arbeitskreises für Hausforschung (ahf). Von Anfang an haben aber auch einzelne Denkmalpfleger aus Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen an den Treffen teilgenommen, meist weil sie persönlich zum AHF zählten. Bereits 1994 in Norden und jetzt wieder hat sich aber das niedersächsische Landesamt für Denkmalpflege auch als Institution an dieser Veranstaltungsreihe beteiligt und das Regionaltreffen organisiert.
Frau Landeskonservatorin Dr.-Ing. Segers-Glocke sprach ein ausführliches Grußwort und betonte den hohen Stand der Gemeinsamkeit der in den vergangenen Jahren zwischen den beteiligten Organisationen und Vereinen erreicht werden konnte. Für ihre persönliche Anwesenheit sei ihr hier ein ausdrücklicher Dank ausgesprochen. Wir hoffen, daß das NLfD auch in Zukunft so etwas wie ein drittes institutionelles Standbein sein wird, so daß jedes „Wackeln” in Zukunft ausgeschlossen erscheint.


Dr. Thomas Kellmann, Organisator der Tagung
Der Bürgermeister des Fleckens Bevern, Herrn Ernst Warnecke begrüßte uns in seinem Ort. Ihm, wie auch der Gemeinde, sei für ihren seiner Zeit gezeigten Mut gedankt, die Rettung des Schlosses Bevern auf ihre vergleichsweise schmalen Schultern genommen zu haben.
Dr. Ulrich Großmann, der Direktor des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg und 1. Vorsitzender des ahf, betonte in seinem Grußwort den Erfolg, den der AHF in diesem ältesten der inzwischen deutschlandweiten fünf Regionaltreffen sieht. Er konnte aus seiner früheren langjährigen Tätigkeit als Leiter des Weserrenaissance Museums Brake auf einige wunde Stellen in der Geschichte der Renovierung unseres Tagungsortes, des Schlosses Bevern erinnern und sparte nicht mit kritischen Worten gegenüber den Politikern, die die als Abbau zu begreifende Umorganisation der niedersächsischen Denkmalpflege zu verantworten haben.

Mit 130 Anmeldungen hatte das diesjährige Treffen das selbstgesteckte Limit überschritten, so daß erstmals zehn Absagen ausgesprochen werden mußten.

  • Dr. Thomas Kellmann bot einleitend einen Abriß zum wirtschaftlichen Hintergrund des Hausbaus im Weserdistrikt seit dem 16. Jahrhundert. Er stellte die schwache wirtschaftliche Grundlage der dörflichen Bevölkerung dar, die im auffallenden Kontrast zur Blüte der grundherrlichen Eigenbetriebe und dem Bau von Schlössern und Klöstern stand. Über die Jahrhunderte hat dieser Diskret fernab der Zentrale Wolfenbüttel/Braunschweig und nur über kleine Landbrücken verbunden, fast wie eine Enklave existiert. Die besonderen kleinindustriellen Gewerbe mit Nebenerwerbsmöglichkeiten für die bäuerliche Unterschicht, vor allem der Sandsteinabbau, waren wichtige Punkte zum Verständnis der örtlichen Besonderheiten. 
  • Die bäuerliche Schichtung erfuhren wir aus dem Vortrag Erich Sanders, der die örtliche Heimatpflege vertrat.
  • Interessante Diskussionen schlossen sich an den Vortrag von Andreas Lilge über die Leibzucht- und Eheverträge an, aus denen viele Aspekte der sozialen Wirklichkeit jener Zeit sprechen. 
  • Aus Zeitmangel bot Matthias Seeliger vom Stadtarchiv Holzminden nur noch eine Kurzfassung seines Vortrages über Bauaufsicht und Feuerschutz im 19. Jahrhundert. Hier ist es vor allem die Frage der Akzeptanz und Durchsetzung solcher Vorschriften, wie sie an der gebauten Wirklichkeit ablesbar ist, die zu Diskussionen Anlaß gab. Das Thema klang schon mehrfach auf unseren Treffen an und soll im Mittelpunkt der 1999er Tagung stehen. Für diese hat sich bereits Dr. Thomas Spohn vom Westfälischen Landesamt für Denkmalpflege als Ausrichter gefunden, der das Hochsauerland als zu besuchende Region vorgeschlagen hat. Es sollen dann die verschiedenen Formen staatlicher Eingriffe oder Eingriffsversuche auf das Bauen, angefangen vom Wiederaufbau nach Bränden über die Binnenkolonisation bis zu Holz- und Brandschutzverordnungen aus den Regionen Nordwestdeutschlands vorgetragen werden. Der Schwerpunkt soll dabei unserem Arbeitskreis entsprechend, auf der Bauforschung und nicht auf der Archivarbeit liegen.
Die Vorträge:
  • Architektin Benita Albrecht trug die fünf Grundformen der Häuser des Weserdistriktes vor. Durch ihren klaren Vortrag wurde die Vielfalt der anzutreffenden Baukörper in ein überschaubares Schema gefügt. Dr. Holger Reimers stellt am Beispiel des „Amptmannhofes” aus Polle nicht nur dieses hochrangige Baudenkmal, sondern auch seine Methode des freilegungsfreien formgerechten Aufmaßes vor.
  • Der Studienschwerpunkt Denkmalpflege und Sanierung am Fachbereich Architektur der Fachhochschule in Holzminden wurde von Professorin Dr. Gerda Wangerin präsentiert und über das Dreiständerhaus in Holenberg als Beispiel für das Projektstudium im 6./7. Semester berichtet. Auch im Großköthnerhaus Breslauer Straße 47 von 1617(d) konnten wir beim Rundgang am Sonntag die qualitätsvolle Aufmaßarbeit der FH betrachten. 
  • Dipl.-Ing. Joachim Gomolka vom NLfD zeigte die langjährig gesammelten Baubefunde und Dendrodaten von Dachwerken aus Holzminden. Die altertümlich anmutende Konstruktion des Spitzsäulendaches mit angeblatteten Hängestreben dominierte bei diesen Häusern. Dabei wunderte weniger der sich über Jahrzehnte hinschleppende Wiederaufbau der Stadt nach dem verheerenden Brand im Dreißigjährigen Krieg, als das lange Festhalten an dieser Dachkonstruktion bis tief ins 18. Jahrhundert hinein.
  • Dr. Heinrich Stiewe stellte unter dem Tagungsthema „bautypologische Sonderformen” ein sehr besonderes, ländliches Gebäude vor, nämlich das evangelische Pfarrhaus in Lippe. Seine, wie immer bestens recherchierten, detaillierten Befunde warfen ein interessantes Licht auf die konfliktreiche Dreieckskonstellation des einen Neubau fordernden Bewohners (des Pfarrers also), der geldgebenden Kirchengemeinde und der mit Entwürfen und Kostenanschlägen auftretenden Baumeister.
  • Mein eigener Vortrag versuchte einen Brückenschlag zwischen klassischer Hausforschung und einem ganz anderen Zweig der Geschichtsforschung, nämlich der historischen Geographie. Aus dem Beispiel unterschiedlicher Bautypen von Schafstallgebäuden wurde ein zusätzliches Argument zur Klärung eines über Jahrhunderte strittigen Grenzverlaufes zwischen den Herzogtümern Bremen und Verden extrahiert.
  • Bodo Vogel stellte den bisher wenig beachteten Grundrißwechsel von kleinstädtischen Wohnwirtschaftshäusern vor, in denen Wohnfunktionen vom Kammerfach weg in die Räume beiderseits des großen Tores und so an den Straßengiebel rückten. Am Beispiel des Fleckens Ottersberg wurde dieses durch eine obrigkeitsgelenkte große Umsiedlungsaktion anläßlich der Fortifikation der dortigen Burg deutlich.
  • Dr. Ulrich Klages, der das schwere Los des letzten Vortrages gezogen hatte, konnte trotzdem mit seinen wiederum sehr originellen neuen Befunden zum Flotwedel-Haus alle Zuhörer noch einmal in seinen Bann ziehen. Diese ganz altertümlichen Häuser mit einzig dastehender „primärer Jochbalkenzimmerung” wurden von ihm als ursprüngliche Wohn-Scheunen-Häuser identifiziert. Eine Viehaufstallung war dort offenbar niemals vorgesehen gewesen und hat auch in den späteren Jahrhunderten kaum Einzug gefunden. Nur so ist es auch zu erklären, warum einzig bei diesen Häusern primäre Kübbungswände aus der Erbauungszeit um 1550 erhalten bleiben konnten. Mit Spannung darf man auf den Wiederaufbau des ältesten und wertvollsten dieser Häuser aus Bröckel im Zoo Hannover blicken, wo es allerdings im Rahmen der Expo 2000 zur Demonstration der alten Nutzviehaufstallung im Bauernhaus dienen soll.
Die Übernachtung konnte für einen großen Teil der Gruppe im Kloster Amelungsborn organisiert werden. Für die friedliche Stimmung dieses einmaligen Platzes und das zusätzliche bauforscherische Angebot waren wir alle dankbar.

Die Sonntagsexkursion:
führte uns bei schönem Sonnenschein in den Flecken Bevern, dessen Bausubstanz allein aus dem 16. Jahrhundert uns länger als einen Tag hätte beschäftigen können. Vor allem die Vielzahl der erhaltenen Dächer mit Wesersandsteindeckung hätte ich nicht für möglich gehalten. Von den vielen Diskussionen vor Ort sei hier nur die Vermutung von Dr. Ulrich Klages erwähnt, daß diese Vierständerhäuser des 16. und frühen 17. Jahrhunderts sich sehr stringent aus primär wandständrigen Zwei- oder Dreiständerhäusern erklären lassen, denen die Wände der hohen Mitteldiele als zusätzliche Ständerreihen zugefügt wurden. Es wäre damit eine gänzlich andere Entwicklung abgelaufen als etwa zur gleichen Zeit in Lippe und später auch anderswo, wo die primären Zweiständerhäuser mit Kübbungen bei größer werdendem Balkenüberstand in Drei- oder Vierständerhäuser übergingen und so ihre Wandständrigkeit erwarben.
Zu einem gelungenen Ausklang fanden sich die Teilnehmer in einem beispielhaft sanierten Vierständer-Durchgangsdielenhaus in Reileifzen an der Weser zusammen.






Ein wesentliches Ergebnis dieses Arbeitstreffens in Bevern ist die Notwendigkeit zur systematischen Erforschung der Hauslandschaft in diesem ehemals braunschweigischen Weserdistrikt. Das NLfD sieht sich daher veranlaßt, im Anschluß an das Gulfhausprojekt, sich dem Oberweserraum zuzuwenden.
Dr. Kellmann für den Bereich „Historische Kulturlandschaft”, Dr. Glänzer für den Bereich „Ländliches Bauen” und Dipl. Ing. Gomolka für den Bereich Bauforschung, werden in Kooperation mit den vor Ort tätigen Institutionen im Auftrag der Landeskonservatorin eine breit angelegte, interdisziplinäre Projektarbeit auf den Weg bringen, um auf niedersächsischer Seite die Forschungslücke zum bereits gut bearbeiteten westfälischen Teil des Weserberglandes zu schließen. Auch die teilnehmenden Mitglieder der IGB in der Region haben sich vorgenommen ihre Kontakte eventuell in Form einer Außenstelle zu intensivieren.
Von den Vorträgen des Treffens wird es keinen geschlossenen Publikationsband geben, jedoch werden viele der Vorträge in Reihen und Sonderveröffentlichungen aufgenommen werden. Ich werde mit der Einladung zum Treffen 1999 eine Liste dieser Veröffentlichungen verschicken.

Vorträge der Vorgängertreffen sind im Band 4 der Berichte zur Hausund Bauforschung „Ländlicher Hausbau in Norddeutschland und den Niederlanden” erschienen und über die IGB, Postfach 1244, 28859 Lilienthal zum Preis von 55.– DM (inkl. Versand) erhältlich.

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