18. März 2015

Nah am Wasser, auf schwankendem Grund – Der Bauplatz und sein Haus

Das Steinhaus Jemgumgaste in Ostfriesland 
Bericht über die 27. Jahrestagung des Arbeitskreises für ländliche Hausforschung in Nordwestdeutschland am 13. bis 15. März 2015 in Aurich/ Ostfriesland 
von Wolfgang Dörfler und Heinrich Stiewe 

Bauplatz und Baugrund als wesentliche Voraussetzungen für den Bau eines Hauses waren das Thema der 27. Jahrestagung des Arbeitskreises für ländliche Hausforschung in Nordwestdeutschland, die vom 13. bis 15. März 2015 in Aurich/Ostfriesland stattfand. Dieser regionale Arbeitskreis, der sich seit mittlerweile über 25 Jahren jährlich trifft, ist eine Kooperation zwischen der Interessengemeinschaft Bauernhaus (IGB) und dem Arbeitskreis für Hausforschung (AHF) und zugleich dessen nordwestdeutsche Regionalgruppe. Dieser Arbeitskreis bietet ein bewährtes Forum für alle an der Hausforschung Interessierten, seien es Hauptamtliche aus Museen, Denkmalpflegeämtern und Planungsbüros oder ehrenamtlich Forschende aus den Reihen der IGB. 

Als Partner und Gastgeber vor Ort fungierten die Ostfriesische Landschaft und das Museumsdorf Cloppenburg; die vorzügliche Organisation lag in den Händen von Nina Hennig (Aurich) und Michael Schimek (Cloppenburg). 

Die Tagung begann mit einem informativen Stadtrundgang in Aurich am Nachmittag des 13. März; abends wurden die 118 Teilnehmer von Stefan Haar (Bundesvorsitzender IGB), Uwe Meiners (Museumsdorf Cloppenburg) und Rolf Bärenfänger (Ostfriesische Landeschaft) begrüßt. Letzterer stellte anschließend die Ostfriesische Landschaft vor, die sich in ihrer über 500-jährigen Geschichte von einer spätmittelalterlichen Ständevertretung zum modernen Träger für regionale Kulturarbeit und Wissenschaft entwickelt hat.

Der Stadtrundgang in Aurich, am Freitag
Der Stadtrundgang startet auf dem Auricher Marktplatz
das 1990 vom Künstler Albert Sous gestaltete Kunstwerk "Sous-Turm", auf dem Marktplatz
Das ehemalige Lichtspielhaus "Schwarzer Bär"
Galionsfigur an einem Spielschiff auf dem Marktplatz
Das Knodtsche Haus ist ein Bürgerhaus im niederländischen Spätbarockstil, errichtet um 1535
stilisierte Blüten- und Fruchtgehänge schmücken unter den oberen Fenstern die Fasssade
Blick auf den Lambertiturm
Wegweiser im Pflaster, zum Platz der in der Reichskristallnacht zerstörten und nicht wieder aufgebauten Synagoge
Gedenkstein für die niedergebrannte Synagoge 
So sah die Synagoge aus 
Torhaus zum "Neuen Friedhof",  ein klassizistisches Torhäuschen, das 1806 von dem Auricher Architekten Conrad Bernhard Meyer errichtet wurde
rechts die Reformierte Kirche in Aurich

Die Lambertikirche, das klassizistische Gotteshaus wurde in den Jahren 1833–1835 an der Stelle des 1826 abgebrochenen Vorgängerbaus errichtet.
Innenansicht der schlichten Kirche mit der barocken Kanzel von 1692 und dem Altar
Der Altar, zwischen 1510 und 1515 hergestellt, kam 1529 aus dem Kloster Ihlow nach Aurich
die linke Ansicht, wenn die Altarflügel eingeklappt sind
Der zur Kirche gehörende freistehende Glockenturm, der Lambertiturm, wurde 1656 bis 1662 auf einem älteren Untergeschoss aus dem 13. Jh. errichtet
ältere Bebauung gegenüber der Kirche 
Haus Hanstein, ältestes erhaltenes Haus Aurichs mit mittelalterlichem Mauerwerk, um 1700 wurde die Fassade errichtet, der Barockgiebel ist mit stilisiertem Blumengewinde verziert
große Kunst des Blechhandwerks auf einem Auricher Dach …
… und Kunst von Schülern auf Mauersimsen 
Das Conringsche Haus, 1804 von dem Auricher Architekten Conrad Bernhard Meyer gebaut
in dem aufgestzten flachen Dreiecksgiebel wird ein ovales Fenster von einer Girlande umfaß 
dieses, ursprünglich 1630 errichtete Haus, wurde 1964 abgebrochen und unter Verwendung von Originalmaterial neu aufgebaut


Die Burgstraße war die erste geschlossen bebaute Straße, die direkt von der Auricher Burg in die Stadt führte, die beiden Torpfeiler von 1705 flankieren den Eingang in die Fußgängerzone
der Löwe bewacht? das Auricher Stadtschloß
Auricher Stadtschloss, um 1850 im englischen Tudorstil erbaut 
Gegenüber dem Schloss entstand ab 1855 der Marstall mit einem Arkadengang 
Detail aus dem aufgesetzten Dreiecksgiebel auf dem Marstall
Der Sitz der Ostfriesischen Landschaft wurde zwischen 1898 und 1901 nach Entwürfen des seinerzeit in Hannover ansässigen Architekten Hermann Schaedtle (1857-1931) im Stil der Neorenaissance errichtet 
Maueranker und Wappen am Giebel der Ostfriesischen Landschaft 
Begrüßung durch Dr. Bärenfänger von der Ostfriesischen Landschaft
gemeinsames Abendessen in dem restaurierten großen Saal der Ostfriesischen Landschaft
Ein repräsentativer Nebenraum, ausgestattet mit einer historischen Sammlung
neue Druckwerke werden "angepriesen"
Die ostfriesischen Herrscher hängen an den Wänden im Saal 
Absacker und "Smalltalk" im Seminarhotel

Die Tagung am Samstag 

Vortragsmarathon am Samstag, mit 21! Vorträgen
Der folgende Samstag (14. März) bot ein gewohnt dicht gepacktes Vortragsprogramm mit 21  regionalen Beiträgen, das der Aufnahmefähigkeit der Zuhörer einiges abverlangte – dennoch gab es anregende Diskussionen. Die Vorträge gliederten sich in die drei Sektionen „Auf schwankendem Grund: Grund und Gründung“, „Bauen am Wasser“ und „Blick nach anderswo“. Mit einer großen Zeitdisziplin auf Seiten der Referierenden (Vortragsdauer: 20 Minuten) und einer straffen Moderation gelang es, das umfangreiche Programm zu bewältigen.


Die Vorträge des Vortragssamstags 

Auf schwankendem Grund: Grund und Gründung

  • Nina Hennig und Michael Schimek gaben eine komprimierte Einführung in die Tagungsregion Ostfriesland mit ihren Hauptlandschaftsformen Marsch, Moor und Geest und verdeutlichten an Beispielen die im Tagungsthema so poetisch formulierte Fragestellung nach dem Baugrund, aber auch nach naturräumlichen und klimatischen Einflussfaktoren auf den Hausbau. 
  • Jan Kegler und Sonja König (Aurich) berichteten aus archäologischer Sicht über die Entwicklung von „Grund und Gründung“ in den Küstengebieten der Nordsee. Hier begann man in den Marschen seit der älteren Eisenzeit mit der Anlage von Wurten (künstlichen Siedlungshügeln, die zum Teil bis heute besiedelt sind) zum Schutz gegen Überflutungen infolge des Meeresspiegelanstiegs. Die Anfänge des heutigen Küstenschutzes mit geschlossenen Deichlinien liegen dagegen im Spätmittelalter und waren von Anfang an eine Gemeinschaftsleistung. 
  • Haio Zimmermann (Wilhelmshaven) gab einen Überblick über den Prozess der Ablösung des Pfostenbaus (mit eingegrabenen Pfosten) durch den Ständerbau (auf Fundamenten) – der schon in der Ur- und Frühgeschichte nachweisbar ist, sich überwiegend im Spätmittelalter vollzog, in ländlichen Gebieten aber auch bis weit in die Neuzeit andauern konnte. Seine Berichte zur Standdauer solcher Pfähle in feuchten versus trockenen Untergründen waren ebenso interessant wie seine Angaben zur Einführung des Backsteins (um 1150). Dieser wurde im „Klosterformat“ produziert, um ihn gemeinsam mit dem schon zuvor verwendeten rheinischen Tuffstein verwenden zu können und an dessen gängiges Format anzupassen.
  • Detlef Böttcher (Loppersum) berichtete über die zunehmende Fundamentbreiten mittelalterlicher Kirchen; aus wandbreiten Fundamentstreifen wurde breitere Fundamente bei schmaleren Wänden. Nach 1300 wurden die Kirchenbauten kleiner; Setzungen traten vielfach bereits beim Bau auf und wurden beim Mauern ausgeglichen. Nachdem um 1700 die Deichlinien geschlossen waren kam es zur Grundwasserabsenkung und zum Einsturz zahlreicher Kirchengewölbe. Da die Absenkung bis heute andauert, resultieren daraus weiter massive Probleme für die alten Steinbauten. Das weitmaschige Holzgerüst des Gulfhauses interpretierte er angesichts der Gründungsprobleme als „fehlereliminierendes Bauelement“.
  • Die im 13. Jahrhundert entwickelten Pfahlgründungen unter massiven Steinbauten mit eingerammten sog. Spickpfählen und Schwellenrosten behandelte Bernd Adam (Garbsen). Die „ingenieurmäßige Pfahlgründungen“ war seit dem 16. Jahrhunderts die übliche Konstruktion bei Großbauten im feuchten, wenig tragfähigem Untergrund. Mit eindrucksvollen historischen Abbildungen aus archivalischer Forschung stellte Adam vielfältige Beispiele für diese Gründungen vor.
  • Gabri van Tussenbroek (Amsterdam) ergänzte das Thema um Beispiele von mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Pfahlgründungen aus Amsterdam, wo seit dem 17. Jahrhundert mit beweglich gegründeten sog. Schwimmkellern auf Schwankungen des Grundwasserspiegels reagiert werden konnte. Voraussetzung dafür war, dass aus gemahlenem Tuff und Kalk ein unter Wasser abbindender hydraulischer Mörtel entwickelt worden war. Auch ließ sich das Gewicht der Häuser durch Verwendung von Kiefernholzbalken an Stelle der älteren Eichenholzbalken entscheidend vermindern.
  • Der Vortrag von Ulrike Looft-Gaude (Freilichtmuseum Kiel-Molfsee) zeigte am Beispiel der Hallighäuser Nordfrieslands die Notwendigkeit der Anpassung an wechselnde Klimaverhältnisse sowie Meeresspiegelanstieg und Küstensenkung (u.a. durch ausgedehnten Salztorfabbau). Diese Häuser wurden trotz ihrer Lage auf der Warft überflutet. Sie stellte den „Katschur“ als Reaktion auf solche Wassereinbrüche dar. Die schmalen Häuser besitzen ein dachtragendes inneres Ständergerüst, extrem schmale Kübbungen und massive Außenwände. Beim V erlust der Außenwände durch Wasserdruck konnte das innere Hausgerüst der Sturmflut noch länger standhalten. 
Sektion: Bauen am Wasser
  • Als Mythos der Heimatgeschichte entlarvte Volker Gläntzer (Hannover) dagegen Berichte über das sog. Schwimmdachhaus der ostfriesischen Inseln – ein schwimmfähiges Dach, das sich bei Sturmflut vom Haus lösen und als eine Art Rettungsfloß benutzt werden konnte, ist im Baubefund nicht nachweisbar und technisch kaum denkbar.
  • Ein Beispiel für einen schwimmenden Speicher zeigte schließlich Berthold Köster (Landesamt für Denkmalpflege in Schleswig-Holstein). Er stellte die 13 verbliebenen, zwischen 1525 und 1630 erbauten Bohlenspeicher Schleswig-Holsteins vor. Im Jahr 1872 habe eine Flutwelle einen dieser Speicher angehoben und landeinwärts transportiert, wobei erstaunlicherweise der neue Standort akzeptiert worden sei und er heute noch dort stehen würde.
  • Nils Kagel (Freilichtmuseum am Kiekeberg) stellte die Bauentwicklung in den hochwassergefährdeten lüneburgischen Elbmarschen dar. Die erste Siedlungswelle benutzte die Uferwälle und einzelne Geestinseln. Wurten sind dagegen im 18. Jahrhundert und davor noch nicht angelegt worden. In einer zweiten Phase wurden die Deichkronen als Hausbauplätze genutzt und schließlich im 19. Jahrhundert doch Wurten angelegt. Eine Besonderheit sind die staatlich vorgeschriebenen Fundamenterhöhungen auf 3,5 m über mittleren Wasserstand, die von spezialisierten Zimmereien mit Hilfe von hölzernen Bauschrauben durchgeführt wurden; ein Satz Bauschrauben bestand aus 30 Stück.
  • Weitere Beiträge erläuterten regionale Besonderheiten des Bauens im Moor (Hans Turner, Riekenbostel), am Übergang vom Moor zur Geest im Hannoverschen Wendland (Konrad Wiedemann, Waddewitz) oder in den holsteinischen Elbmarschen (Christine Scheer, Wewelsfleth). Wolfgang Riesner (Petershagen) berichtete von Bauschäden eines Hofes von 1802 in Preußisch-Ströhen (Rahden, Kreis Minden-Lübbecke), die durch Torflinsen im Baugrund verursacht waren. Kurz vor Abschluss der aufwendigen Sanierung brannte der vorgestellte Hof 2014 ab und wurde 2015 als größenreduzierte Rekonstruktion wiederaufgebaut.
  • Einen unerwartet aktuellen Bezug erhielt das Tagungsthema schließlich mit dem Beitrag von Thomas Spohn (Dortmund), der sich kritisch mit Bergschäden im Ruhrgebiet auseinandersetzte. Seit dem Übergang vom Stollenbergbau zum flächigen Tiefbau um 1850 kam es zu großflächigen Geländeabsenkungen, die weite Teile des Ruhrgebietes in ein tiefliegendes „Poldergebiet“ verwandelten, das nur durch den ständigen Betrieb von Pumpwerken an Emscher und Lippe trocken gehalten werden kann (die sog. Ewigkeitslasten des ehemaligen Bergbaus). Auch verursachen die Bergsenkungen bis heute schwere Gebäudeschäden, die immer wieder zu Abrissen führen oder mit großem technischen Aufwand behoben werden müssen.
Blick nach anderswo
  • Vielfältige Ausblicke in benachbarte und entferntere Regionen bereicherten die Tagung um eindrucksvolle Beispiele für das Bauen unter schwierigen topografischen und klimatischen Bedingungen etwa in der windund regenrechen Westeifel (Carsten Vorwig, Kommern), im Oberharz (Anja Schmid-Engbrodt, PulheimBrauweiler) oder im Warthebruch (Josef Pollmann, Arnsberg). Aus Niederösterreich berichtete Veronika Plöckinger-Walenta (Weinviertler Museumsdorf Niedersulz) über den „Weinviertler Hakenhof“, den sie als Sonderform des weit verbreiteten Zwerchhofes bei entsprechend feuchtem Baugrund zu interpretieren vorschlug. 
  • Extrem waren die Bau- und Siedlungsverhältnisse in den Alpen, über die Benno Furrer (Schweizerische Bauernhausforschung, Zug) berichtete. Hier musste die Bevölkerung nicht nur Hochwasser, sondern auch Murenabgänge (Schlammlawinen), Schneelawinen oder Felsstürze gewärtigen – Katastrophen, auf die man vorbeugend und mit viel Erfahrungswissen durch eine geschickte Wahl des Bauplatzes an geschützten Stellen und die Anlage von Streusiedlungen reagierte. 
  • Den Abschluss bildete der Vortrag von Hermann Scheider (Rastede), der uns auf die Exkursion vorbereiten sollte. Sein Thema waren die in dieser typischen „Backsteinregion“ nachweisbaren Reste einer älteren Lehmbauweise und Befunde der Nutzung von hölzernen Brettereinlagen zur Stabilisierung von Ziegelwänden.
Insgesamt zeigte die Tagung, welche anregenden und weiterführenden Perspektiven für die Hausforschung die Fragestellung nach dem Einfluss von Bauplatz und Baugrund auf den historischen (und aktuellen) Hausbau eröffnen kann – insbesondere, wenn man auch topographische und klimatische Faktoren in den Blick nimmt. Damit kann die historische Hausforschung einen wichtigen Beitrag zur Umweltgeschichte leisten – auch und gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion um den globalen Klimawandel und seine Folgen.

auf "schwankendem Grund" mußte sie öfter eingesetzt werden, die Bauschraube 
Haio Zimmermann läßt das Schwimmdach "schwimmen" – Modell zum Vortragsthema von Dr. Volker Gläntzer "Das Schwimmdachhaus in Ostfriesland"
das Frischgezapfte Jever haben wir uns jetzt zum Feierabend verdient – die Hausforscher unterwegs nutzen das Zusammentreffen hier in Aurich zur Planung der Exkursion 2015, Jütland ist das Ziel im Juni

Die Exkursion am Sonntag

Eine Busexkursion durch das Rheiderland am Sonntag (15. März) rundete die gelungene Veranstaltung ab. Sie führte am Beispiel dieser Region im Westen Ostfrieslands, die bis heute vom Dollarteinbruch (Landverluste durch Sturmfluten ab 1362) geprägt ist, die besonderen Bedingungen des Bauens und Wohnens in einer unter dem Meeresspiegel gelegenen, von modernen Deichen geschützten und künstlich entwässerten Marschlandschaft vor Augen. Besichtigt wurden zwei mittelalterliche Kirchen und deren dendrochronologisch datierte Dachwerke in Rorichum und Bunde, ein frühes, 1705 datiertes bäuerliches Steinhaus in Jemgumgaste (mit jüngerer Gulfscheune von 1910) und der bekannte Häuptlingssitz in Bunderhee mit seinem spätmittelalterlichen Steinhaus (14. Jh.) als Hauptbau einer früheren Turmburg. Den Abschluss bildete ein Rundgang durch die Kleinstadt Weener mit interessanten Bürgerhäusern des 16. bis 19. Jahrhunderts.
Wolfgang Dörfler und Heinrich Stiewe 

Erste Station des Besichtigungssonntages ist die Kirche mit dem freistehenden Glockenturm in Rorichum in der Gemeind Moormerland
Die Kirche ist Anfang des 14. Jh. aus Backsteinen im Klosterformat gebaut, als rechteckiger Einraumsaal, in der Traufwand lassen sich einige Spuren der Geschichte ablesen.

Der freistehende Glockenturm ist wesentlich älter 
Maueranker an der Glockenturmwand
Bevor wir in die Kirche dürfen gibt Erhard Preßler hier im Pastorenhaus …
…  eine Einführung zur Geschichte und Konstruktion historischer Kirchendachwerke in Ostfriesland
Der Wirtschaftsgiebel des Pastorenhauses – ein kleines Gulfhaus
Wie fast alle reformierten Kirchen, ist auch diese Kirche in Rorichum sehr schlicht ausgestattet
Im Dachwerk der Kirche in Rorichum
ein einfach gekehltes Sparrendach
Das Steinhaus Jemgumgaste mit im späten 19. Jh. vorgebauter Gulfscheune


Die Gulfscheune wird vom Monumentendienst zur Altmaterial-Lagerung genutzt
das Gulfgerüst, nach 1870 errichtet
auch hier in Ostfriesland standen die Kühe mit dem Kopf zur Wand
das Steinhaus ist im Dachwerk auf 1705 d datiert …
eine inschriftliche Datierung auf  dieser Textplatte am Giebel des Steinhauses verweist auf das Datum 1792
Diskussionspause …
Das Nachbarhaus, Mitte 18. Jh. wurde gerade verkauft und erwartet eine sensible Restaurierung
stilvolle Gußeisenfenster
Das Steinhaus Bunderhee ist eine der ältesten Burgen Ostfrieslands aus dem 14. Jh.
Wappen- und Texttafel am Giebel des jüngeren Teils des Steinhauses
der niedrigere Anbau wurde 1735 fertiggestellt
Über der Tür des jüngeren Teils Wappen und Jahreszahl 1735
"Fenstergeschichte" an der Traufwand, die großen Fenster stammen aus dem 16. Jh.
der Saal im Obergeschoss, im Hintergrund ein spätgotischer Kamin
Rekonstruktion der mittelalterlichen Burganlage in Bunderhee
Mittagspause im zur Gaststätte umgenutzten Gulfhaus …
… Fototafeln zeigen den desolaten Zustand des Gulfhauses, das vom Abriß bedroht war
Kreuzkirche aus dem 13. Jahrhundert in Bunde in Ostfriesland. Die Backsteinkirche besteht aus drei Baukörpern, einem romanischen Langhaus (um 1200), einem aufwändig gestalten Ostteil (um 1270) im romano-gotischen Stil und einem klassizistischen Westturm von 1840.
Rautenmuster aus Backsteinstäben am nördlichen Giebel
Innenbesichtigung der Kirche
Das Gestühl mit geschnitzten Ranken und Intarsienarbeiten stammt aus der Zeit um 1720
Die Kanzel mit dem übergroßen Schalldeckel wurde um 1720 gefertigt 
Besichtigung des Dachwerks …
… das in zwei Bauphasen errichtet wurde
Sparrenknechte am Fußpunkt der Sparren
Zimmermannszeichen der zwei Bauphasen
Rundbogen-Arkaden an der Ostwand des Chors
An allen Außenwänden finden sich Spuren der mehrhundertjährigen Baugeschichte
Diese "Stadtvilla" zeichnet sich …
durch die horizontalen betonten Fugen aus, 
eingeschossiges Giebelhaus von 1719, obwohl der Giebel völlig neu aufgebaut ist, wird er als wertvollstes Beispiel Ostfrieslands bezeichnet
der Rekonstruktionsplan für den Wiederaufbau des Giebels
In den Räumen präsentiert sich ein Naturbaustoffhandel
Hier endet die Exkursion des 27. Hausforschertreffens. Wir verabschieden uns von Weener und von Ostfriesland mit einem Blick auf den kleinen Hafen.

Zum Schluss an dieser Stelle einen herzlichen Dank an Dr. Nina Hennig und Dr. Michael Schimek für den reibungslosen und perfekt organisierten Tagungsablauf und das interessante Exkursionsprogramm.



Tagungsbericht AHF-Mitteilungen 86, 2015, S. 7-9: 


Bauplatz und Baugrund als wesentliche Voraussetzungen für den Bau eines Hauses waren das Thema der 27. Jahrestagung des Arbeitskreises für ländliche Hausforschung in Nordwestdeutschland, die vom 13. bis 15. März 2015 in Aurich/Ostfriesland stattfand. Dieser regionale Arbeitskreis, der sich seit mittlerweile über 25 Jahren jährlich trifft, ist eine Kooperation zwischen der Interessengemeinschaft Bauernhaus (IGB) und dem Arbeitskreis für Hausforschung (AHF) und zugleich dessen nordwestdeutsche Regionalgruppe. Dieser Arbeitskreis bietet ein bewährtes Forum für alle an der Hausforschung Interessierten, seien es Hauptamtliche aus Museen, Denkmalpflegeämtern und Planungsbüros oder ehrenamtlich Forschende aus den Reihen der IGB. Als Partner und Gastgeber vor Ort fungierten die Ostfriesische Landschaft und das Museumsdorf Cloppenburg; die vorzügliche Organisation lag in den Händen von Nina Hennig (Aurich) und Michael Schimek (Cloppenburg). Die Tagung begann mit einem informativen Stadtrundgang in Aurich am Nachmittag des 13. März; abends wurden die 118 Teilnehmer von Stefan Haar (Bundesvorsitzender IGB), Uwe Meiners (Museumsdorf Cloppenburg) und Rolf Bärenfänger (Ostfriesische Landschaft) begrüßt. Letzterer stellte anschließend die Ostfriesische Landschaft vor, die sich in ihrer über 500-jährigen Geschichte von einer spätmittelalterlichen Ständevertretung zum modernen Träger für regionale Kulturarbeit und Wissenschaft entwickelt hat. 


Der folgende Samstag (14. März) bot ein gewohnt dicht gepacktes Vortragsprogramm mit 21 regionalen Beiträgen, das der Aufnahmefähigkeit der Zuhörer einiges abverlangte – dennoch gab es anregende Diskussionen. Die Vorträge gliederten sich in die drei Sektionen „Auf schwankendem Grund: Grund und Gründung“, „Bauen am Wasser“ und „Blick nach anderswo“. Mit einer großen Zeitdisziplin auf Seiten der Referierenden (Vortragsdauer: 20 Minuten) und einer straffen Moderation gelang es, das umfangreiche Programm zu bewältigen. Nina Hennig und Michael Schimek gaben eine komprimierte Einführung in die Tagungsregion Ostfriesland mit ihren Hauptlandschaftsformen Marsch, Moor und Geest und verdeutlichten an Beispielen die im Tagungsthema so poetisch formulierte Fragestellung nach dem Baugrund, aber auch nach naturräumlichen und klimatischen Einflussfaktoren auf den Hausbau. Jan Kegler und Sonja König (Aurich) berichteten aus archäologischer Sicht über die Entwicklung von „Grund und Gründung“ in den Küstengebieten der Nordsee. Hier begann man in den Marschen seit der älteren Eisenzeit mit der Anlage von Wurten (künstlichen Siedlungshügeln, die zum Teil bis heute besiedelt sind) zum Schutz gegen Überflutungen infolge des Meeresspiegelanstiegs. Die Anfänge des heutigen Küstenschutzes mit geschlossenen Deichlinien liegen dagegen im Spätmittelalter und waren von Anfang an eine Gemeinschaftsleistung. Haio Zimmermann (Wilhelmshaven) gab einen Überblick über den Prozess der Ablösung des Pfostenbaus (mit eingegrabenen Pfosten) durch den Ständerbau (auf Fundamenten) – der schon in der Ur- und Frühgeschichte nachweisbar ist, sich überwiegend im Spätmittelalter vollzog, in ländlichen Gebieten aber auch bis weit in die Neuzeit andauern konnte. Seine Berichte zur Standdauer solcher Pfähle in feuchten versus trockenen Untergründen waren ebenso interessant wie seine Angaben zur Einführung des Backsteins (um 1150). Dieser wurde im „Klosterformat“ produziert, um ihn gemeinsam mit dem schon zuvor verwendeten rheinischen Tuffstein verwenden zu können und an dessen gängiges Format anzupassen. 


Detlef Böttcher (Loppersum) berichtete über die zunehmenden Fundamentbreiten mittelalterlicher Kirchen; aus wandbreiten Fundamentstreifen wurden breitere Fundamente bei schmaleren Wänden. Nach 1300 wurden die Kirchenbauten kleiner; Setzungen traten vielfach bereits beim Bau auf und wurden beim Mauern ausgeglichen. Nachdem um 1700 die Deichlinien geschlossen waren kam es zur Grundwasserabsenkung und zum Einsturz zahlreicher Kirchengewölbe. Da die Absenkung bis heute andauert, resultieren daraus weiter massive Probleme für die alten Steinbauten. Das weitmaschige Holzgerüst des Gulfhauses interpretierte er angesichts der Gründungsprobleme als „fehlereliminierendes Bauelement“.
Die im 13. Jahrhundert entwickelten Pfahlgründungen unter massiven Steinbauten mit eingerammten sog. Spickpfählen und Schwellenrosten behandelte Bernd Adam (Garbsen). Die „ingenieurmäßige Pfahlgründungen“ war seit dem 16. Jahrhunderts die übliche Konstruktion bei Großbauten im feuchten, wenig tragfähigem Untergrund. Mit eindrucksvollen historischen Abbildungen aus archivalischer Forschung stellte Adam vielfältige Beispiele für diese Gründungen vor.


Gabri van Tussenbroek (Amsterdam) ergänzte das Thema um Beispiele von mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Pfahlgründungen aus Amsterdam, wo seit dem 17. Jahrhundert mit beweglich gegründeten sog. Schwimmkellern auf Schwankungen des Grundwasserspiegels reagiert werden konnte. Voraussetzung dafür war, dass aus gemahlenem Tuff und Kalk ein unter Wasser abbindender hydraulischer Mörtel entwickelt worden war. Auch ließ sich das Gewicht der Häuser durch Verwendung von Kiefernholzbalken an Stelle der älteren Eichenholzbalken entscheidend vermindern.


Der Vortrag von Ulrike Looft-Gaude (Freilichtmuseum Kiel-Molfsee) zeigte am Beispiel der Hallighäuser Nordfrieslands die Notwendigkeit der Anpassung an wechselnde Klimaverhältnisse sowie Meeresspiegelanstieg und Küstensenkung (u.a. durch ausgedehnten Salztorfabbau). Diese Häuser wurden trotz ihrer Lage auf der Warft überflutet. Sie stellte den „Katschur“ als Reaktion auf solche Wassereinbrüche dar. Die schmalen Häuser besitzen ein dachtragendes inneres Ständergerüst, extrem schmale Kübbungen und massive Außenwände. Beim Verlust der Außenwände durch Wasserdruck konnte das innere Hausgerüst der Sturmflut noch länger standhalten. Als Mythos der Heimatgeschichte entlarvte Volker Gläntzer (Hannover) dagegen Berichte über das sog. Schwimmdachhaus der ostfriesischen Inseln – ein schwimmfähiges Dach, das sich bei Sturmflut vom Haus lösen und als eine Art Rettungsfloß benutzt werden konnte, ist im Baubefund nicht nachweisbar und technisch kaum denkbar. 

Ein Beispiel für einen schwimmenden Speicher zeigte schließlich Berthold Köster (Landesamt für Denkmalpflege in Schleswig-Holstein). Er stellte die 13 verbliebenen, zwischen 1525 und 1630 erbauten Bohlenspeicher Schleswig-Holsteins vor. Im Jahr 1872 habe eine Flutwelle einen dieser Speicher angehoben und landeinwärts transportiert, wobei erstaunlicherweise der neue Standort akzeptiert worden sei und er heute noch dort stehen würde.

Nils Kagel (Freilichtmuseum am Kiekeberg) stellte die Bauentwicklung in den hochwasser-gefährdeten lüneburgischen Elbmarschen dar. Die erste Siedlungswelle benutzte die Uferwälle und einzelne Geestinseln. Wurten sind dagegen im 18. Jahrhundert und davor noch nicht angelegt worden. In einer zweiten Phase wurden die Deichkronen als Hausbauplätze genutzt und schließlich im 19. Jahrhundert doch Wurten angelegt. Eine Besonderheit sind die staatlich vorgeschriebenen Fundamenterhöhungen auf 3,5 m über mittleren Wasserstand, die von spezialisierten Zimmereien mit Hilfe von hölzernen Bauschrauben durchgeführt wurden; ein Satz Bauschrauben bestand aus 30 Stück.

Weitere Beiträge erläuterten regionale Besonderheiten des Bauens im Moor (Hans Turner, Riekenbostel), am Übergang vom Moor zur Geest im Hannoverschen Wendland (Konrad Wiedemann, Waddewitz) oder in den holsteinischen Elbmarschen (Christine Scheer, Wewelsfleth). Wolfgang Riesner (Petershagen) berichtete von Bauschäden eines Hofes von 1802 in Preußisch-Ströhen (Rahden, Kreis Minden-Lübbecke), die durch Torflinsen im Baugrund verursacht waren. Kurz vor Abschluss der aufwendigen Sanierung brannte der vorgestellte Hof 2014 ab und wurde 2015 als größenreduzierte Rekonstruktion wiederaufgebaut.

Einen unerwartet aktuellen Bezug erhielt das Tagungsthema schließlich mit dem Beitrag von Thomas Spohn (Dortmund), der sich kritisch mit Bergschäden im Ruhrgebiet auseinandersetzte. Seit dem Übergang vom Stollenbergbau zum flächigen Tiefbau um 1850 kam es zu großflächigen Geländeabsenkungen, die weite Teile des Ruhrgebietes in ein tiefliegendes „Poldergebiet“ verwandelten, das nur durch den ständigen Betrieb von Pumpwerken an Emscher und Lippe trocken gehalten werden kann (die sog. Ewigkeitslasten des ehemaligen Bergbaus). Auch verursachen die Bergsenkungen bis heute schwere Gebäudeschäden, die immer wieder zu Abrissen führen oder mit großem technischen Aufwand behoben werden müssen.

Vielfältige Ausblicke in benachbarte und entferntere Regionen bereicherten die Tagung um eindrucksvolle Beispiele für das Bauen unter schwierigen topografischen und klimatischen Bedingungen etwa in der wind- und regenreichen Westeifel (Carsten Vorwig, Kommern), im Oberharz (Anja Schmid-Engbrodt, Pulheim) oder im Warthebruch (Josef Pollmann, Arnsberg). Aus Niederösterreich berichtete Veronika Plöckinger-Walenta (Weinviertler Museumsdorf Niedersulz) über den „Weinviertler Hakenhof“, den sie als Sonderform des weit verbreiteten Zwerchhofes bei entsprechend feuchtem Baugrund zu interpretieren vorschlug. Extrem waren die Bau- und Siedlungsverhältnisse in den Alpen, über die Benno Furrer (Schweizerische Bauernhausforschung, Zug) berichtete. Hier musste die Bevölkerung nicht nur Hochwasser, sondern auch Murenabgänge (Schlammlawinen), Schneelawinen oder Felsstürze gewärtigen – Katastrophen, auf die man vorbeugend und mit viel Erfahrungswissen durch eine geschickte Wahl des Bauplatzes an geschützten Stellen und die Anlage von Streusiedlungen reagierte.


Den Abschluss bildete der Vortrag von Hermann Schiefer (Rastede), der uns auf die Exkursion vorbereiten sollte. Sein Thema waren die in dieser typischen „Backsteinregion“ nachweisbaren Reste einer älteren Lehmbauweise und Befunde der Nutzung von hölzernen Brettereinlagen zur Stabilisierung von Ziegelwänden.

Insgesamt zeigte die Tagung, welche anregenden und weiterführenden Perspektiven für die Hausforschung die Fragestellung nach dem Einfluss von Bauplatz und Baugrund auf den historischen (und aktuellen) Hausbau eröffnen kann – insbesondere, wenn man auch topographische und klimatische Faktoren in den Blick nimmt. Damit kann die historische Hausforschung einen wichtigen Beitrag zur Umweltgeschichte leisten – auch und gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion um den globalen Klimawandel und seine Folgen.
Eine Busexkursion durch das Rheiderland am Sonntag (15. März) rundete die gelungene Veranstaltung ab. Sie führte am Beispiel dieser Region im Westen Ostfrieslands, die bis heute vom Dollarteinbruch (Landverluste durch Sturmfluten ab 1362) geprägt ist, die besonderen Bedingungen des Bauens und Wohnens in einer unter dem Meeresspiegel gelegenen, von modernen Deichen geschützten und künstlich entwässerten Marschlandschaft vor Augen. Besichtigt wurden zwei mittelalterliche Kirchen und deren dendrochronologisch datierte Dachwerke in Rorichum und Bunde, ein frühes, 1705 datiertes bäuerliches Steinhaus in Jemgumgaste (mit jüngerer Gulfscheune von 1910) und der bekannte Häuptlingssitz in Bunderhee mit seinem spätmittelalterlichen Steinhaus (14. Jh.) als Hauptbau einer früheren Turmburg. Den Abschluss bildete ein Rundgang durch die Kleinstadt Weener mit interessanten Bürgerhäusern des 16. bis 19. Jahrhunderts. 

Wolfgang Dörfler und Heinrich Stiewe 


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