Tagungsbericht AHF-Mitteilungen 86, 2015, S. 7-9:
Bauplatz und Baugrund als wesentliche Voraussetzungen für den Bau eines Hauses waren das Thema der 27. Jahrestagung des Arbeitskreises für ländliche Hausforschung in Nordwestdeutschland, die vom 13. bis 15. März 2015 in Aurich/Ostfriesland stattfand. Dieser regionale Arbeitskreis, der sich seit mittlerweile über 25 Jahren jährlich trifft, ist eine Kooperation zwischen der Interessengemeinschaft Bauernhaus (IGB) und dem Arbeitskreis für Hausforschung (AHF) und zugleich dessen nordwestdeutsche Regionalgruppe. Dieser Arbeitskreis bietet ein bewährtes Forum für alle an der Hausforschung Interessierten, seien es Hauptamtliche aus Museen, Denkmalpflegeämtern und Planungsbüros oder ehrenamtlich Forschende aus den Reihen der IGB. Als Partner und Gastgeber vor Ort fungierten die Ostfriesische Landschaft und das Museumsdorf Cloppenburg; die vorzügliche Organisation lag in den Händen von Nina Hennig (Aurich) und Michael Schimek (Cloppenburg). Die Tagung begann mit einem informativen Stadtrundgang in Aurich am Nachmittag des 13. März; abends wurden die 118 Teilnehmer von Stefan Haar (Bundesvorsitzender IGB), Uwe Meiners (Museumsdorf Cloppenburg) und Rolf Bärenfänger (Ostfriesische Landschaft) begrüßt. Letzterer stellte anschließend die Ostfriesische Landschaft vor, die sich in ihrer über 500-jährigen Geschichte von einer spätmittelalterlichen Ständevertretung zum modernen Träger für regionale Kulturarbeit und Wissenschaft entwickelt hat.
Der folgende Samstag (14. März) bot ein gewohnt dicht gepacktes Vortragsprogramm mit 21 regionalen Beiträgen, das der Aufnahmefähigkeit der Zuhörer einiges abverlangte – dennoch gab es anregende Diskussionen. Die Vorträge gliederten sich in die drei Sektionen „Auf schwankendem Grund: Grund und Gründung“, „Bauen am Wasser“ und „Blick nach anderswo“. Mit einer großen Zeitdisziplin auf Seiten der Referierenden (Vortragsdauer: 20 Minuten) und einer straffen Moderation gelang es, das umfangreiche Programm zu bewältigen. Nina Hennig und Michael Schimek gaben eine komprimierte Einführung in die Tagungsregion Ostfriesland mit ihren Hauptlandschaftsformen Marsch, Moor und Geest und verdeutlichten an Beispielen die im Tagungsthema so poetisch formulierte Fragestellung nach dem Baugrund, aber auch nach naturräumlichen und klimatischen Einflussfaktoren auf den Hausbau. Jan Kegler und Sonja König (Aurich) berichteten aus archäologischer Sicht über die Entwicklung von „Grund und Gründung“ in den Küstengebieten der Nordsee. Hier begann man in den Marschen seit der älteren Eisenzeit mit der Anlage von Wurten (künstlichen Siedlungshügeln, die zum Teil bis heute besiedelt sind) zum Schutz gegen Überflutungen infolge des Meeresspiegelanstiegs. Die Anfänge des heutigen Küstenschutzes mit geschlossenen Deichlinien liegen dagegen im Spätmittelalter und waren von Anfang an eine Gemeinschaftsleistung. Haio Zimmermann (Wilhelmshaven) gab einen Überblick über den Prozess der Ablösung des Pfostenbaus (mit eingegrabenen Pfosten) durch den Ständerbau (auf Fundamenten) – der schon in der Ur- und Frühgeschichte nachweisbar ist, sich überwiegend im Spätmittelalter vollzog, in ländlichen Gebieten aber auch bis weit in die Neuzeit andauern konnte. Seine Berichte zur Standdauer solcher Pfähle in feuchten versus trockenen Untergründen waren ebenso interessant wie seine Angaben zur Einführung des Backsteins (um 1150). Dieser wurde im „Klosterformat“ produziert, um ihn gemeinsam mit dem schon zuvor verwendeten rheinischen Tuffstein verwenden zu können und an dessen gängiges Format anzupassen.
Detlef Böttcher (Loppersum) berichtete über die zunehmenden Fundamentbreiten mittelalterlicher Kirchen; aus wandbreiten Fundamentstreifen wurden breitere Fundamente bei schmaleren Wänden. Nach 1300 wurden die Kirchenbauten kleiner; Setzungen traten vielfach bereits beim Bau auf und wurden beim Mauern ausgeglichen. Nachdem um 1700 die Deichlinien geschlossen waren kam es zur Grundwasserabsenkung und zum Einsturz zahlreicher Kirchengewölbe. Da die Absenkung bis heute andauert, resultieren daraus weiter massive Probleme für die alten Steinbauten. Das weitmaschige Holzgerüst des Gulfhauses interpretierte er angesichts der Gründungsprobleme als „fehlereliminierendes Bauelement“.
Die im 13. Jahrhundert entwickelten Pfahlgründungen unter massiven Steinbauten mit eingerammten sog. Spickpfählen und Schwellenrosten behandelte Bernd Adam (Garbsen). Die „ingenieurmäßige Pfahlgründungen“ war seit dem 16. Jahrhunderts die übliche Konstruktion bei Großbauten im feuchten, wenig tragfähigem Untergrund. Mit eindrucksvollen historischen Abbildungen aus archivalischer Forschung stellte Adam vielfältige Beispiele für diese Gründungen vor.
Gabri van Tussenbroek (Amsterdam) ergänzte das Thema um Beispiele von mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Pfahlgründungen aus Amsterdam, wo seit dem 17. Jahrhundert mit beweglich gegründeten sog. Schwimmkellern auf Schwankungen des Grundwasserspiegels reagiert werden konnte. Voraussetzung dafür war, dass aus gemahlenem Tuff und Kalk ein unter Wasser abbindender hydraulischer Mörtel entwickelt worden war. Auch ließ sich das Gewicht der Häuser durch Verwendung von Kiefernholzbalken an Stelle der älteren Eichenholzbalken entscheidend vermindern.
Der Vortrag von Ulrike Looft-Gaude (Freilichtmuseum Kiel-Molfsee) zeigte am Beispiel der Hallighäuser Nordfrieslands die Notwendigkeit der Anpassung an wechselnde Klimaverhältnisse sowie Meeresspiegelanstieg und Küstensenkung (u.a. durch ausgedehnten Salztorfabbau). Diese Häuser wurden trotz ihrer Lage auf der Warft überflutet. Sie stellte den „Katschur“ als Reaktion auf solche Wassereinbrüche dar. Die schmalen Häuser besitzen ein dachtragendes inneres Ständergerüst, extrem schmale Kübbungen und massive Außenwände. Beim Verlust der Außenwände durch Wasserdruck konnte das innere Hausgerüst der Sturmflut noch länger standhalten. Als Mythos der Heimatgeschichte entlarvte Volker Gläntzer (Hannover) dagegen Berichte über das sog. Schwimmdachhaus der ostfriesischen Inseln – ein schwimmfähiges Dach, das sich bei Sturmflut vom Haus lösen und als eine Art Rettungsfloß benutzt werden konnte, ist im Baubefund nicht nachweisbar und technisch kaum denkbar.
Ein Beispiel für einen schwimmenden Speicher zeigte schließlich Berthold Köster (Landesamt für Denkmalpflege in Schleswig-Holstein). Er stellte die 13 verbliebenen, zwischen 1525 und 1630 erbauten Bohlenspeicher Schleswig-Holsteins vor. Im Jahr 1872 habe eine Flutwelle einen dieser Speicher angehoben und landeinwärts transportiert, wobei erstaunlicherweise der neue Standort akzeptiert worden sei und er heute noch dort stehen würde.
Nils Kagel (Freilichtmuseum am Kiekeberg) stellte die Bauentwicklung in den hochwasser-gefährdeten lüneburgischen Elbmarschen dar. Die erste Siedlungswelle benutzte die Uferwälle und einzelne Geestinseln. Wurten sind dagegen im 18. Jahrhundert und davor noch nicht angelegt worden. In einer zweiten Phase wurden die Deichkronen als Hausbauplätze genutzt und schließlich im 19. Jahrhundert doch Wurten angelegt. Eine Besonderheit sind die staatlich vorgeschriebenen Fundamenterhöhungen auf 3,5 m über mittleren Wasserstand, die von spezialisierten Zimmereien mit Hilfe von hölzernen Bauschrauben durchgeführt wurden; ein Satz Bauschrauben bestand aus 30 Stück.
Weitere Beiträge erläuterten regionale Besonderheiten des Bauens im Moor (Hans Turner, Riekenbostel), am Übergang vom Moor zur Geest im Hannoverschen Wendland (Konrad Wiedemann, Waddewitz) oder in den holsteinischen Elbmarschen (Christine Scheer, Wewelsfleth). Wolfgang Riesner (Petershagen) berichtete von Bauschäden eines Hofes von 1802 in Preußisch-Ströhen (Rahden, Kreis Minden-Lübbecke), die durch Torflinsen im Baugrund verursacht waren. Kurz vor Abschluss der aufwendigen Sanierung brannte der vorgestellte Hof 2014 ab und wurde 2015 als größenreduzierte Rekonstruktion wiederaufgebaut.
Einen unerwartet aktuellen Bezug erhielt das Tagungsthema schließlich mit dem Beitrag von Thomas Spohn (Dortmund), der sich kritisch mit Bergschäden im Ruhrgebiet auseinandersetzte. Seit dem Übergang vom Stollenbergbau zum flächigen Tiefbau um 1850 kam es zu großflächigen Geländeabsenkungen, die weite Teile des Ruhrgebietes in ein tiefliegendes „Poldergebiet“ verwandelten, das nur durch den ständigen Betrieb von Pumpwerken an Emscher und Lippe trocken gehalten werden kann (die sog. Ewigkeitslasten des ehemaligen Bergbaus). Auch verursachen die Bergsenkungen bis heute schwere Gebäudeschäden, die immer wieder zu Abrissen führen oder mit großem technischen Aufwand behoben werden müssen.
Vielfältige Ausblicke in benachbarte und entferntere Regionen bereicherten die Tagung um eindrucksvolle Beispiele für das Bauen unter schwierigen topografischen und klimatischen Bedingungen etwa in der wind- und regenreichen Westeifel (Carsten Vorwig, Kommern), im Oberharz (Anja Schmid-Engbrodt, Pulheim) oder im Warthebruch (Josef Pollmann, Arnsberg). Aus Niederösterreich berichtete Veronika Plöckinger-Walenta (Weinviertler Museumsdorf Niedersulz) über den „Weinviertler Hakenhof“, den sie als Sonderform des weit verbreiteten Zwerchhofes bei entsprechend feuchtem Baugrund zu interpretieren vorschlug. Extrem waren die Bau- und Siedlungsverhältnisse in den Alpen, über die Benno Furrer (Schweizerische Bauernhausforschung, Zug) berichtete. Hier musste die Bevölkerung nicht nur Hochwasser, sondern auch Murenabgänge (Schlammlawinen), Schneelawinen oder Felsstürze gewärtigen – Katastrophen, auf die man vorbeugend und mit viel Erfahrungswissen durch eine geschickte Wahl des Bauplatzes an geschützten Stellen und die Anlage von Streusiedlungen reagierte.
Den Abschluss bildete der Vortrag von Hermann Schiefer (Rastede), der uns auf die Exkursion vorbereiten sollte. Sein Thema waren die in dieser typischen „Backsteinregion“ nachweisbaren Reste einer älteren Lehmbauweise und Befunde der Nutzung von hölzernen Brettereinlagen zur Stabilisierung von Ziegelwänden.
Insgesamt zeigte die Tagung, welche anregenden und weiterführenden Perspektiven für die Hausforschung die Fragestellung nach dem Einfluss von Bauplatz und Baugrund auf den historischen (und aktuellen) Hausbau eröffnen kann – insbesondere, wenn man auch topographische und klimatische Faktoren in den Blick nimmt. Damit kann die historische Hausforschung einen wichtigen Beitrag zur Umweltgeschichte leisten – auch und gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion um den globalen Klimawandel und seine Folgen.
Eine Busexkursion durch das Rheiderland am Sonntag (15. März) rundete die gelungene Veranstaltung ab. Sie führte am Beispiel dieser Region im Westen Ostfrieslands, die bis heute vom Dollarteinbruch (Landverluste durch Sturmfluten ab 1362) geprägt ist, die besonderen Bedingungen des Bauens und Wohnens in einer unter dem Meeresspiegel gelegenen, von modernen Deichen geschützten und künstlich entwässerten Marschlandschaft vor Augen. Besichtigt wurden zwei mittelalterliche Kirchen und deren dendrochronologisch datierte Dachwerke in Rorichum und Bunde, ein frühes, 1705 datiertes bäuerliches Steinhaus in Jemgumgaste (mit jüngerer Gulfscheune von 1910) und der bekannte Häuptlingssitz in Bunderhee mit seinem spätmittelalterlichen Steinhaus (14. Jh.) als Hauptbau einer früheren Turmburg. Den Abschluss bildete ein Rundgang durch die Kleinstadt Weener mit interessanten Bürgerhäusern des 16. bis 19. Jahrhunderts.
Wolfgang Dörfler und Heinrich Stiewe
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