3. Oktober 2021

Bauernhausforschung als Agrargeschichte

Der Gulfteil der Winkelscheune im Freilichtmuseum Molfsee
war ein angemessener Rahmen für die Tagung

33. Tagung in Kiel (Schleswig-Holstein) im Freilichtmuseum Molfsee – Landesmuseum für Volkskunde bei Kiel, vom 3.-5. September 2021, 76 Teilnehmende
Organisation: Nils Kagel und Wolfgang Rüther, Thomas Spohn
Exkursion in die Probstei: Gut Wahlstorf; St. Johannis-Kirche Malente-Neukirchen; Probstei-Museum Schönberg; Hof Wiese in Laboe

Aus dem Aufruf: Eine Beschäftigung mit Bauernhaus und Bauernhof ist ohne Bezug zur Landwirtschaft nicht möglich. Zumindest indirekt wurde auf unseren Tagungen ungezählte Male von den Wechselwirkungen zwischen den Bauten und der Tätigkeit ihrer Bewohner und Nutzer gesprochen, nicht selten auch ausdrücklich darüber referiert, wie z. B. über das Aufkommen von Schweineställen oder gewerblichen Nebengebäuden. Auf der 33. Tagungen sollen nun zusammenfassend solche Baubefunde im Mittelpunkt stehen, die – als deren unmittelbare Folgen – direkte Hinweise geben auf Veränderungen in der Agrarstruktur einzelner Regionen oder Epochen.
In Frage steht etwa, ob und welche Veränderungen an der Bausubstanz zu erkennen sind, die sich z. B. durch Wechsel der landwirtschaftlichen Produktionszweige erklären lassen, etwa im Verhältnis von Ackerbau und Viehwirtschaft oder von Wollwirtschaft und Fleisch- oder Milcherzeugung. Zu denken ist auch an die Einführung neuer Früchte, wie jeglicher Arten von Obst und von Hackfrüchten, ebenso wie an landtechnische und/oder naturwissenschaftliche Novationen von Futteranbau und Stallhaltung zwecks Düngergewinnung bis zur Einführung von Mineral- und Kunstdüngers und natürlich auch die Mechanisierung und Motorisierung von Innen- und Außenwirtschaft.
Wie bei allen Jahrestagungen des Arbeitskreises sind Referate zu einzelnen Bauten und Baubefunden ebenso erwünscht wie Überblicke über einzelne Phänomene oder Regionen. Auch eine zeitliche Eingrenzung ist nicht vorgesehen: Die Beispiele dürfen ebenso dem Industriezeitalter wie der Ur- und Frühgeschichte entstammen. Wichtig ist nur, dass funktionale Aspekte von Haus und Hof im Mittelpunkt der Referate stehen, solche Phänomene also, die primär aus Agrargeschichtlichen Entwicklungen resultieren und diese belegen. Alle Arten von Veränderungen der Bautechnik (von neuen Baumaterialien und Verarbeitungstechniken) oder der Baugestalt sollen also dieses Mal nicht behandelt werden, wobei freilich im Bestand ablesbare Baukonjunkturen durchaus auf Novationen des Landbaus zurückgeführt werden können.

geplante Vorträge: 

Thomas Spohn: „Bauernhausforschung als Agrargeschichte“ – Kleine Einstimmung auf’s Tagungsthema 

Nils Kagel: Einführung in die Tagungsregion – Die ländliche Baukultur Schleswig-Holsteins vor dem Hintergrund ökonomischer Prozesse im neuzeitlichen Europa

Mette Svart Kristiansen: Tradition and innovation in 19th century farm buildings in Denmark

Holger Reimers: Kontinuität und Wandel: Glockentürme im Kirchenkreis Schleswig-Flensburg 1441 bis 1825. Ein Überblick aus baugeschichtlicher Sicht

Christine Scheer: Schöpfmühlen in der Wilstermarsch

Dietrich Maschmeyer: Bäuerliche Gebäude: Zeugnisse agrarischen Wandels

Fred Kaspar: Gewisse und ungewisse Gefälle, Dienste und Pachten sowie außerordentliche Steuern in der bäuerlichen Naturalwirtschaft

Klaus Freckmann: Landwirtschaftliche Nebengebäude und Sonderbauten im Norden Deutschlands – Von der Scheune bis zum Tabakspeicher

Benno Furrer: Alles Käse! – Käseproduktion in Tal-, Berg und Alpwirtschaft der Schweiz – Veränderungsprozesse und ihre Spuren an Gebäuden

Hans-Joachim Turner: Baulichkeiten, die den Kartoffelanbau in der Region Rotenburg (Wümme) belegen

Bernd Adam: Brauhaus des Schlosses in Arolsen-Landau

Fritz Jürgens/Nils Kagel: Das Bienenhaus aus Wahlstorf – bauliches Relikt einer verlorenen Kulturlandschaft

Thomas Spohn: Kniestöcke auf Häusern Südwestfalens und die Siegener Wiesenbauschule von 1853

Wolfgang Dörfler: Räumlichkeiten zur frostfreien Lagerung von Kartoffeln

Michael Römer: Maßnahmen gegen holzzerstörende Insekten. Vorstellung machbarer Methoden 

Das Freilichtmuseum Molfsee

Torhaus für das Gut Deutsch-Nienhof. Rekonstruktion  nach einem Entwurf von 1770, der erst 1974 im Museum realisiert wurde.Nutzunga als Verwaltungsgebäude, Bibliothek etc.
Das neue Jahrhunderthaus begrüßt die Museumsbesucherinnen und Besucher

Begrüßung der ersten Tagungsteilnehmer durch den Museumsleiter Wolfgang Rüther

moderne Bautechnik


Dauerausstellung ein Jahr100 in Schleswig- Holstein …

präsentiert 350 Objekte des täglichen Lebens aus den letzten 100 Jahren …

… Bekanntes und unbekanntest lässt sich hier entdecken

Start der Museumsexkursion …


Sceune aus Wilmsdorf von 1791

Dreiständerbau mit Durchfahrt

Verstrebungen und Zierverbände bestimmen das Bild des Giebels

Haus Schurbohm, 1817, Kreis Rendsburg-Eckerförde …

… mtt dreistufig verbrettertem Steilgiebel und Giebelpfahl

Querdurchfahrt-Scheune von 1690 aus Klein-Havighorst, Kreis Plön
zur Einlagerung von ungedroschenen Getreide

Speicher aus Brodersdorf, Ständer-Bohlenbau von 1629, Kreis Plön

Barghus von 1745 aus Arentsee, Kreis Steinburg

Göpelhaus

Der Museumsleiter Wolfgang Rüther erläutert Funktion und
Konstruktion der Museums-Bauten von der Nordseeküste 

Haus von der Hallig Langeness, erbaut um 1783 d

Langhaus  um 1770 aus Borsbüll, Nordfriesland

repräsentativer Eingang

Die Herdstelle …

… und der Blick in die Stube

Langhaus von 1634 aus Klockries bei Niebüll, Nordfriesland

Haus aus Westerland, Rekonstruktion des Originals von 1699

Der Haupteingang in der Mitte der Traufseite

Salzkasten an der Feuerstelle

Der Backsteinbau hat natürlich ein Innengerüst, mit aufgeblatteten schlichten Kopfbändern

Von der Rückseite zu beheizender Bilegger in der Stube

Alkoven

bemalte Deckenbalken in der Stube

Kuhstall in der traditionellen Ausstattung mit der Mistrinne in der Mitte

Haus von 1699, eines Walfangschiff-Kapitäns in Westerland auf Sylt

traditioneller Dachfirst aus sich überlappenden Grassoden

Zwerchhausgiebel in dekorativer Ziegelsetzeung

Traditioneller Kuhstall


Die Museumsbauten liegen eingebettet in die typische Landschaft

Wohnhaus aus Teschendorf, Fehmarn

Hallenhaus eines wohlhabenden Bauern aus Lehe, Kreis Dithmarschen, erbaut 1781

In der Winkelscheune aus dem Kreis Dithmarschen versammelten sich die Teilnehmer der Tagung


Der Gulfteil der Winkelscheune war ein angemessener Rahmen für die Tagung

Mittagspause bei herrlichem Wetter

Prächtiges Hallenhaus von 1697 mit im 18. Jahrhundert quer angebautem
Wohnteil, neben dem Hallenhaus steht das Göpelhaus

Eingang zum quer angebauten Wohnhaus

Viehaufstallung im Hallenhaus


Blick unter das Dach


Im Wohnteil – Bilegger und Alkoven

Interieur dieses wohlhabenden Hauses …

… und aufwändige Dekoration

Sogenannte Spinnkopfmühle um 1850 ist eine kleine Hof-Windmühle
für verschiedene Mahlfunktionen

Rekonstruktion eines Vierrutenbarg zur Lagerung von Stroh oder Heu

Dachkonstruktion des Vierrutenbargs

das FDach konnte nach Bedarf nach oben verstellt werden

Speicher in Massivbauweise, um 1780

Pilaster und aufwändige Beschläge sind eine seltene erscheinung für einen Speicher


Exkursion in die Region

Gut Wahlstorf

Das unmittelbar an der Mündung der Schwentine in den Lanker See gelegene Wahlstorf wird 1224 erstmals als Wahlesthorp in Zusammenhang mit dem Kloster Preetz genannt. Besitzer ist anfangs das gleichnamige Rittergeschlecht.Im 15. Jahrhundert befindet sich das Gut zunächst in der Hand derer von Rumohr und kommt dann 1469 an die Familie von A Thienen. Diese geben die jenseits der Schwentine gelegene Burganlage auf und verlegen den Hof an den heutigen Standort. 1788 kommt Wahlstorf schließlich an die Familie von Plessen, in deren Besitz das Gut noch heute ist. 
Um 1500 wird das jetzige Herrenhaus als Doppelhaus errichtet. Indizien, wie die unterschiedlich gewölbten Keller, sprechen dafür, dass dies in zwei Bauphasen geschieht. Die aus zwei oder drei Baukörpern bestehende Form des Herrenhauses ist ansonsten im 16. und beginnenden 17. Jahrhundert stilprägend für die Schleswig-Holsteinische Gutslandschaft. Das Gebäude erfährt vor allem im 17.  und Anfang des 18. Jahrhunderts größere Umbauten. Die ursprünglichen Satteldächer mit Steilgiebel werden gegen Walmdächer ausgetauscht und die Innenräume teilweise neu gegliedert. Rekonstruktion der ursprünglichen Raumaufteilung im EG des Herrenhauses 
1584 wird die heute noch existierende, sogenannte Weizenscheune errichtet. Bei diesem fünfschiffigen Gebäude von 46 Meter Länge und 22 m Breite handelt es sich um die heute älteste Gutsscheune CENTAND Schleswig-Holsteins. Das südliche Ende wird 1695 verlängert und der Nordgiebel im ausgehenden 19. Jahrhundert stark verändert. Erst 1950 werden zwei Querdurchfahrten mit Toren in den Längsseiten eingebaut. 
Weitere bedeutende Bauten sind ein großer Kornspeicher aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, zwischenzeitlich als Reithalle genutzt, und eine große Gulfscheune aus dem 18. Jahrhundert mit offenbar später eingebauten Kuhställen. 

Zufahrt zum Gutshaus im Erscheinungsbild des 18. Jahrhunderts

Die Gutshofanlage mit Gutshaus und den Wirtschaftsgebäuden

illusionistische Decke von 1704 im Gutshaus

Schlüsselstück am Deckenbalken

Weizenscheune von 1584, die Tore in der Traufseite stammen aus den 1950er Jahren


seitliche Längsdurchfahrt der Weizenscheune

Innengerüst …

… der Weizenscheune

Detail Grüstknoten

Altes Reithaus, im 19. Jahrhundert zum Kornspeicher umgenutzt
Jungviehstall, ursprünglich Gulfscheune aus dem 18. Jh. …

… mit der Innenkonstruktion

Pferdestall, massiv, um 1840 gebaut mit Stuben und Kammern für Dienstpersonal
Innengerüst



St. Johannis-Kirche Malente-Neukirchen

Das St. Johannis-Kirchspiel wurde nach 1156 in Folge der Unterwerfung und Zwangsmissionierung des bis dahin slawischen Wagriens durch die Grafen von Schauenburg gegründet. Der anspruchsvolle Missionsauftrag und der Zuzug von Siedlern aus Flandern, Holland, Westfalen und Friesland machte einen raschen Ausbau der Pfarrorganisation notwendig, so dass innerhalb kurzer Zeit eine Reihe von Kirchenbauten in Ostholstein entstanden. 1215 wird der Ort Neukirchen erstmals als „nova ecclesia" genannt. Die in Kletterschaltechnik aus Hochbrandgips mit Felssteinarmierung errichteten Kirchen aus der Zeit der Ostkolonisation in Wagrien zeichnen sich durch ihre einheitliche Architektur und Bauweise aus. Typisch ist das einschiffige Langhaus mit eingezogenem Kastenchor und halbrunder Apsis sowie rundem Westturm. 
Die Johannis-Kirche weist als Besonderheit zudem geräumige Turmhallen im Erd- und Obergeschoss sowie eine aufwendige, vermutlich bauzeitliche Farbfassung mit Quadermalerei im Inneren auf. 1621 wurde die Apsis abgebrochen und der Chor verlängert. Die Dachwerke von Chor und Langhaus wurden im 19. Jahrhundert zur Gänze in Nadelholz erneuert. 1956-58 fanden umfangreiche Renovierungs- und Rekonstruktionsarbeiten am Gebäude statt. Damals vorgenommene Zementverpressungen führten in den folgenden Jahrzehnten zu erheblichen Bauschäden, die 1998 und 2011/12 eine grundlegende Sanierung erforderlich machten. Weitere Sehenswürdigkeiten: Granittaufe 12. Jh., Triumphkreuz 14. Jh. Kanzel von 1626, Orgel von 1756 mit späteren Ergänzungen.

Einschiffiges Langhaus mit eingezogenem Kastenchor und halbrunder Apsis sowie rundem Westturm


bemalte Holzdecke aus dem 19. Jh.

Ornamentale Gestaltung im Scheitel des Kreuzgratgewölbes

Konsolengestaltung



Familienfoto vor der Johannis-Kirche


Ehem. Hof Göttsch, heute Probstei Museum Schönberg 

Im Gebiet der Probstei konnte sich aufgrund der ertragreichen Böden und der Zugehörigkeit zum Kloster Preetz mit seinem vergleichsweise lockeren Besitzrecht eine wohlhabende bäuerliche Schicht herausbilden, was sich bereits frühzeitig auch im Hausbau ausdrückte. Die Gebäude des heutigen Probstei-Museums zeigen eine weitgehend vollständige Hofanlage einer Probsteier Vollhufe mit Haupthaus, Bohlenspeicher und Durchfahrtsscheune. 
Beim Haupthaus handelt es sich um ein Flettdielenhaus in Zweiständerbauweise. Die Außenwände stammen in ihrer jetzigen Form überwiegend aus dem 19. Jahrhundert, das Innengefüge hingegen in großen Teilen von 1570/71 (d). Eine Inschrift auf einem nicht mehr in situ aufgefundenen, mutmaßlichen Stubendeckenbalken gibt als Baujahr 1574 an. 
Das Dielengefüge ist im Querverband mit eingezapften Kopfbändern, im Längsverband hingegen mit angeblatteten Langstreben und eingezapften Hillriegeln ausgesteift. Die Dachbalken weisen bereits einen nicht unerheblichen Überstand von 1,10 - 1,20 cm auf. Das Luchtgefüge ist weitgehend rekonstruktiv. Der Wohnteil mit leicht erhöhter Dachbalkenlage wurde mehrfach verändert, entstammt jedoch im Kern ebenfalls noch der Erbauungszeit. Typisch ist hier die Tür im Mittelteil des Wohngiebels. 

Speicher mit angebauter Scheune

Knagge und Balkenüberstand

Lüftungsschlitze

Traufwand des Speichers mit schlichten gekehlten Knaggen


Flettdielenhaus aus dem 19. Jh.



Kesselhaken über der Herdstelle

Luchtbalken

Das Innengerüst stammt angeblich in großen Teilen von 1570/71 (d)

Hof Wiese in Laboe 

Das äußere des Hauses ist vergleichsweise jung. So stammen Wohn- und Wirtschaftsgiebel des Zweiständerbaus in ihrer heutigen Gestalt erst von 1910. Im Dielenbereich hat sich hingegen ein Teil des Innengerüstes von 1534/35 mit einigen bemerkenswerten Details erhalten. Anders als bei gleichalten oder nur wenig älteren Häusern der Probstei sind die Ständer mit den flach aufgelegten Rähmen und Dachbalken bereits verzapft. Die Aussteifung mit eingezapften anstatt geblatteten Kopfbänder im Querverband war in der Region im dritten Viertel des 16. Jahrhunderts ebenfalls noch nicht allgemein üblich, stellt also ein sehr innovatives Element dar. 
Ganz traditionell gibt sich hingegen die Aussteifung des Längsverbands mit angeblatteten Hillriegeln und Langstreben. Auch die Dachbalkenüberstände sind noch verhältnismäßig gering. Das genaue Aussehen der nachweislich zweifachigen Luchten und des Wohnteils ist nicht mehr zu ermitteln. Wie alle Probsteier Häuser des 16. Jahrhunderts besaß das Gebäude vermutlich ein Vorschauerfach mit Vollwalm und zurückgesetztem Einfahrtstor (Heckschur). 

Der Hofgiebel in der Gestaltung von 1910 …

… und der zugehörige Kammerfachgiebel

Die Kopfbänder des Innengerüstes von 1534/35

Der Hausherr berichtet über die Sanierung des Lehmdielenfussbodens

Die Diele mit dem Innengerüstes von 1534/35

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Schreiben Sie einen Kommentar zu unseren Beiträgen.
Es ist immer spannend, zu erfahren, was unsere Leser denken und wer uns besucht. Wir würden uns freuen.

Printfriendly