26. Mai 2013

Blutige Knöchel und verborgene Dachwerke


In unmittelbarer Nähe unserer Unterkunft gelegen: Chateau de Martainville. Es wird als zentrales ethnologisches Museum der Normandie geführt und beherbergt eine große Sammlung häuslicher Einrichtungsgegenstände der vergangenen Jahrhunderte. Sonntagmorgen jedoch war das Museum geschlossen, sodass uns nur die Besichtigung der übrigen Hofgebäude möglich war. Wir beschlossen, den Besuch zu wiederholen.
Das Haus des Gärtners? Ohne einen Hinweis erschließt sich die ursprüngliche Nutzung nicht.
Außerhalb des Schlosshofes gelegen, ein in der Normandie weit verbreiteter Bautyp, der des gestelzten Speichers. Doch sind nicht mehr viele Gebäude in dieser reinen Form überliefert. In späteren Zeiten hat man das Erdgeschoss häufig zwischen den Gefachen zugemauert, sodass sich der Charakter des Gebäudes stark verändert dem Betrachter präsentiert.
Der Aufgang zum Speichergeschoss. Die weite Überkragung des Daches hat hier seinen Grund. Zwar blickt man bei diesem Beispiel direkt ins Dachwerk, doch in der Regel besaßen diese Speicher einen Zwischenboden. Wie hätte man sonst das Getreide lagern können. Auch wäre der Treppenaufgang ohne Funktion. So gibt das Gebäude zwar ein falsches Bild der eigentlichen Funktion wieder, aber dafür hat man einen freien und ungehinderten Blick in das Dachwerk.
Hingegen ist die Nutzung des Erdgeschosses früher wie heute die gleiche geblieben.
Man muss sich die ursprüngliche Decke als Mutter-/Kindsbalkenlage mit einem dichten Belag für die sichere Getreidelagerung vorstellen.
In seiner Erscheinung ein wahrlich fürstliches Backhaus.
Zwei langgestreckte Wirtschaftsgebäude flankieren die Hoffläche vor dem Schloss. Am hinteren Ende befindet sich das Pressoir - die Apfelpresse.
Weitgehend erhalten die Apfelpresse selbst. 
Vis á vis gegenüber dem Schloss und am unteren Ende der großen Hoffläche steht der große Taubenturm. Von außen betrachtet mit einem oktogonalen Grundriss, innen jedoch kreisrund gemauert, zur Haltung mehrerer Tausend Taubenpaare. Die Zelte sind noch von einem Vortags stattgefundenen Fest übergeblieben. Sie verstellten uns den Blick über die gesamte Schlossanlage.
Selbst heute nisten noch etliche Taubenpaare im Turm. Der freie Blick ins Dachwerk lässt Parallelen zum Schlossturm in Gaillon erkennen. 
Auf dem Weg von Martainville nach Gaillon liegt am Wegesrand die Ruine der Zisterzienserabtei Fontaine-Guerard. Doch leider geschlossen. Auch ein Näherkommen war nicht möglich, sodass das Teleobjektiv die einzige Möglichkeit einer vergrößerten Ansicht bot.
 Schon außerhalb des Klosterbezirks und daher zugänglich - ein turmartiges, völlig mit Efeu überwuchertes Gebäude. Eine freiliegende Gebäudeecke zeigt eine interessante Ausführung der äußeren Fassade. Flint - der in der Normandie in großen Mengen vorkommt, wurde in den noch frischen Kalkmörtel gedrückt.
Bevor es vom Hochplateau hinunter an die Seine und nach Les Andelys geht, ein großartiger Ausblick. Im Hintergrund die Ruinen der Burg Richard Löwenherz - le Château Gaillard.
Chateau de Gaillon: Auch am Sonntag wird gearbeitet, momentan jedoch sind alle beim Frühstück.
Château de Gaillon: Der Turm mit dem zu reparierenden Dachwerk. 
Austausch von Erfahrungen unter den Zimmerleuten (Andy Hyde und Ian Ellison). Die Vielfalt der Formen der mitgebrachten Breitbeile ist beachtlich.  
Griff und Führung eines Breitbeils ist nicht vergleichbar mit dem eines einfachen Beils. Die Handhabung ist ungewohnt und lässt sich nur durch jahrelangen Einsatz einigermaßen perfektionieren.
Darüber diskutieren :Jeremy Brodbeck und Andy Hyde.
Der Schmied Ludovic Marsille ist für die Instandsetzung und Funktionsfähigkeit der Werkzeuge zuständig. Manches alte Werkzeug wird nach Jahrzehnten während des Workshop erstmals wieder eingesetzt. Interessierte Zuschauer: Pierre Roussel mit Frau (Mitte). Pierre wird uns während der nächsten Tage begleiten und uns manch unverhofften Zugang zu sonst verschlossenen Bauwerken ermöglichen. Mit Rémy Desmonts (links im Bild) ist bei unserem nächsten Besuch in der Normandie eine Besichtigung seines Hauses vereinbart. (In der Zwischenzeit ist der Terminkalender für die folgende Woche so vollgepackt, dass wir bei weitem nicht alle Angebote bewältigen können).
Das Schärfen und Schränken verlangt viel Kenntnis und Fingerspitzengefühl.

Richtige oder falsche Handhabung des Breitbeils? (Florent Lenegre)
Der Zustand der Knöchel der linken Hand wird nach getaner Arbeit darüber Auskunft geben.

Das Entrinden der Bäume ist nicht in jedem Fall erforderlich ...
... das Ablängen schon, wird in der Regel allerdings erst nach dem Zurichten des Bauholzes ausgeführt. 
Der kraftzehrende Einsatz ist dem Bewegungsablauf anzusehen.

Das Einkerben des Stamms erleichtert das Zurichten und gibt genau vor, bis zu welcher Tiefe das überflüssige Holz mit Axt und Breitbeil abgearbeitet werden muss.

Feinarbeit mit dem Breitbeil ist hier angesagt. Das Breitbeil stammt aus einer der letzten Produktionsstätten dieser Werkzeuge im Emsland und wurde wohl um 1930 hergestellt.
Erste körperliche Blessuren machen sich bemerkbar. Obwohl Higgs Murphy jahrelang in Kanada mit Axt und Breitbeil gearbeitet hat und noch arbeitet, und er sich eine Perfektion im Umgang mit diesen Werkzeugen angeeignet hat, sind typische Verletzungen unausbleiblich. Die Griffumstellung von einer linken auf eine rechte Führhand und umgekehrt ist nicht jedermanns Sache.

Bei dieser Griffkonstellation kommen die Knöchel der Hand dem Werkstück recht nahe - trotz angewinkelter Klinge.    
Bei dieser Griffhaltung sind Verletzungen eher zu erwarten.
Sonderanfertigung eines Axtstiels für den Zweimeter-Mann
Florian Bebin.
Die unterschiedliche Führung des Breitbeils hinterlässt unterschiedliche Bearbeitungsspuren.
Am Sonntagmorgen hallen Beil-und Axthiebe durchs Dorf.  
Die Konstruktion des Turmdachwerks mit den zu reparierenden Schadstellen. Dem "Kingspost" fehlt jegliche Unterstützung, sodass sämtliche Lasten auf die Außenwände drücken.
Durch Wassereinbruch an den Bauwerksübergängen sind Hölzer geschädigt worden und müssen ausgetauscht. werden.
Ziemlich unversehrt die Spitze des Dachwerks.
Zum besseren Verständnis der konstruktiven Spezifika wurde entsprechend der Rekonstruktion des ursprünglichen Zustandes ein Modell gebaut.
Der Blick vom Turm auf den Zimmerplatz.
Am Nachmittag führte uns Pierre zur Abbaye Bonport, 25 km von Gaillon entfernt und wenige Kilometer südlich von Rouen gelegen. Das Kloster befindet sich in privatem Eigentum und ist daher nur eingeschränkt zugänglich. Zum Zeitpunkt unseres Besuchs aber fand eine Ausstellung historischer Handwerkstechniken statt, sodass alle Räumlichkeiten besichtigt werden konnten. Eine privilegierte Führung durch die Eigentümerin Catherine Delimbeuf machte uns einen Zugang zu den Dachwerken möglich.
Weitere Informationen und zur Geschichte des Klosters lassen sich auf der Internetseite http://www.abbayedebonport.com/ abrufen.
Das Refektorium.
Der Keller.
Der Turm diente als Ausguck und ermöglicht einen beeindruckenden Blick über die Seine bis hin nach Rouen.
 
Das Dachwerk über dem Ostflügel (Dormitorium) des Klosters. Frédéric Épaud und Dendrotech aus Rennes datierten die Bauhölzer auf das Jahr 1121. Eine Sanierung in den letzten Jahren beseitigte Bauschäden und versetzte die Konstruktion wieder in den ursprünglichen Zustand. Was die privaten Eigentümer hier an Eigenleistungen und eigenen Mitteln investiert haben, ist beachtlich, und ganz dem historischen Zustand des Bauwerks verpflichtet.

Das Dachwerk über dem Refektorium. Ursprünglich als Holztonne ausgeführt. Dendrochronologische Datierung auch hier durch Frédéric Épaud und Dendrotech: 1255.
An den Nagelresten und den fehlenden Kopfbändern, die zusammen mit dem Riegel, dem Sparren  und dem Sparrenknecht einen Segmentbogen bildeten, lässt sich das Tonnengewölbe noch erahnen und sicher rekonstruieren.
Die Ausstellung im Kloster umfasste eine ganze Reihe von historischen Handwerken. Angefangen von der Textiltapetenherstellung und deren Restaurierung über Buchbinder, Polsterer, Hutmacher, Schreiner, Kunsttischler, Geigenbauer und viele mehr. Der Uhrmacher zeigt die Reparatur eines Uhrwerks mit Hilfe von Utensilien aus den vergangenen Jahrhunderten. 
Der Steinmetz bearbeitet Formteile, die später am Kloster Verwendung finden.
Am Abend statten wir dem Städtchen Vernon einen Besuch ab, in der Hoffnung, ein Restaurant zu finden. Aber am Sonntagabend auf dem Lande sind nur wenige Restaurants geöffnet. So blieb uns nur ein kurzer Eindruck von dem Ort. Das Museum hatte zwar schon geschlossen, aber der Bau aus dem 15. Jahrhundert beeindruckt auch von außen.  

Figuren an den Eckständern aus dem vollen Holz geschnitzt findet man häufig an Häusern in der Normandie.

Die Stiftskirche Notre-Dame im Abendlicht. Ursprünglich eine romanische Kirche aus dem 11. Jahrhundert. Anfang des 13. Jahrhundert gotisch überformt und erweitert.  
In Les Andelys dann doch noch ein geöffnetes Restaurant gefunden.
Das Abendessen am Ufer der Seine bei einem zauberhaftem Sonnenuntergang. 

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