19. Mai 2014

Gerd Kühnast – unerschrockener und unermüdlicher Streiter für das Erbe der ländlichen Baukultur

Gerd Kühnast †
Zum Tod von Gerd Kühnast

Am Dienstag nach Ostern in diesem Jahr starb plötzlich und ganz unerwartet Gerd Kühnast in Husum. Alle, die sich für das Erbe der ländlichen Baukultur einsetzen, vor allem in Norddeutschland und ganz besonders an der schleswig-holsteinischen Westküste, haben einen unerschrockenen, unermüdlichen Streiter für ihre Sache und einen bewundernswerten Freund verloren.
Gerd Kühnast hat seit den siebziger Jahren mit seinem beherzten Engagement das öffentlich wirksame Eintreten für den Erhalt historischer Bausubstanz im Norden und für die Bauforschung entscheidend geprägt.
Er wurde in die Landschaft hineingeboren, in der er immer gewirkt hat: 1936 kam er auf einem kleinen Bauernhof in der Hattstedter Marsch, nördlich von Husum, zur Welt. Er konnte aber, als eines von fünf Geschwistern, studieren: an der damaligen Pädagogischen Hochschule Flensburg. Er wurde Grundschullehrer, zunächst im Kirchspiel Viöl, dann auf der Insel Nordstrand.
Von 1963 bis 1967 lebte er mit seiner Frau Swantje auf der Hallig Oland und unterrichtete dort an einer der kleinsten Schulen der Bundesrepublik. Die Zeit auf dieser Insel hat ihn entscheidend beeinflusst: Er kam im Jahr nach der großen Sturmflut, die fürchterliche Schäden anrichtete, und er erlebte dann, wie die alten, ehrwürdigen Hallighäuser in großem Umfang abgerissen wurden – oft auch dann, wenn man sie hätte erhalten können. In dieser Zeit setzte auch die große ‚Modernisierung’ in den bäuerlichen Regionen ein. Kühnast sah mit an, wie unersetzliches Erbe einer reichen ländlichen Kultur verschwand. Er beschäftigte sich mit der Baukultur an der Westküste, und er fand in dem Baupflegeverein Südtondern, der Anfang des 20. Jahrhunderts sich in den ersten Modernisierungsschüben in den ländlichen Regionen für die Dokumentation alten Bauens und für einen landschaftlich geprägten Baustil einsetzte, ein Vorbild für das, was zu tun wäre.
1979 schließlich kam der entscheidende Impuls zustande: Beim Friesenkongress auf Sylt hielt der befreundete Prof. Dr. Carl Ingwer Johannsen, der aus der gleichen Gegend wie Kühnast stammt und damals Direktor des Freilichtmuseums Kiel-Molfsee war, einen Vortrag über „Bauen und Bewahren“ vor allem im ländlichen Raum. Aus den anschließenden Gesprächen entstand der Plan, Gleichgesinnte zu versammeln und eine Arbeitsgruppe zu bilden. Sie wurde 1980 im Nordfriesischen Institut gegründet und gab sich den Namen ‚Interessengemeinschaft Baupflege Nordfriesland’. Gerd Kühnast wurde zum Vorsitzenden gewählt.
Er hat, neben seiner Schullehrertätigkeit in Bredstedt, eine unerhörte Kraft in die Arbeit dieser Gruppe gegeben, die offiziell noch kein Verein war, sondern unter dem Dach des Nordfriesischen Instituts wirkte. Die Aktivisten um Gerd Kühnast konnten unter anderem eine ganze Reihe von großen, aufklärenden Artikeln über Baupflege und über Grundsätze baulicher Gestaltung in der regionalen Zeitung veröffentlichen – die Zahl der Mitglieder in der IGB Nordfriesland wuchs. Gerd Kühnast initiierte eine eigene kleine Zeitschrift der IGB, den ‚Maueranker’, in deutlicher Parallele zum ‚Holznagel’ der ‚großen’ IGB. Die nordfriesische Vereinigung wollte selbständig bleiben, weil sie als Arbeitsgruppe unter dem Schirm des Nordfriesischen Instituts wirkte und weil ihr die Anknüpfung an den Baupflegeverein Südtondern wichtig war.
Gerd Kühnast hat viele Aktionen der IGB Nordfriesland angestoßen und mitgetragen, hat Niederlagen verkraften müssen wie den unnötigen Abriss des historischen Beseler-Hauses in Husum und das Verschwinden vieler kleinerer, alter Gebäude in den Dörfern. Er hat aber auch immer wieder Erfolge verbuchen können, wie zuletzt mit der von ihm in Gang gebrachten Initiative zur Rettung des historischen Husumer Rathauses.
Gerd Künhnast war nicht nur Redakteur und wichtiger Autor des ‚Mauerankers’, er hat auch ab 1984 eigene Bücher der IGB Nordfriesland herausgegeben oder mit auf den Weg gebracht. 1992 wurde die IGB offiziell ein eigener Verein, 2004 dehnte sich das Tätigkeitsfeld auch auf Dithmarschen aus. Erst 2008 trat Kühnast als Vorsitzender zurück, arbeitete aber unermüdlich weiter. Der Tod riss ihn mitten aus seinen Tätigkeiten – zwei große Publikationen waren fast abgeschlossen bzw. weit gediehen. Die Freunde und Mitstreiter begreifen es als sein Vermächtnis, diese Bücher fertig zu stellen und die Aktivitäten der IGB in seinem Sinne weiterzuführen.
Dr. Ludwig Fischer


Im Rahmen der 40. Mitgliederversammlung des Denkmalsfonds Schleswig-Holstein erhielt Gerd Kühnast (77) am Montag, 14. April, im Rittersaal des Schlosses den Dr.-Hartwig-Beseler-Preis 2014. Der Denkmalfonds würdigte damit Kühnasts unermüdlichen Einsatz für den Erhalt des architektonischen Erbes im Kreis Nordfriesland. Die Laudatio hielt Prof. Dr. Joachim Reichstein, Schleswig. 

Das folgende Interview gab Gerd Kühnast eine Woche vor seinem Tod, aus Anlaß der Preisverleihung der Husumer Zeitung (bei der wir uns für die Genehmigung zur Veröffentlichung bedanken):
Beseler ist in Husum ja kein unbekannter Name. Es gibt die Beselerstraße, und es gab ein Beseler Haus, das, wenn es nach Ihnen gegangen wäre, gewiss noch stünde. Reiner Zufall oder gibt es eine Verbindung zwischen den Beselers?
Hartwig Beseler bin ich dreimal begegnet. Beim ersten Mal hat er 1982 – zwei Jahre nach der Gründung der Interessengemeinschaft Baupflege. Im Rittersaal des Schlosses hat er über das Thema „Gedanken zum Denkmalschutz in Schleswig-Holstein“ gesprochen. Das zweite Mal trafen wir uns 1984 bei der Verleihung des Deutschen Preises für Denkmalpflege in Trier und zuletzt im Winter 2005/2006. Da kämpften wir für den Erhalt des Beseler Hauses. Als Nachfahre der einstigen Besitzer hatten wir auch ihn eingeladen. Dass das Haus am Ende doch abgerissen wurde, war eine Schande, zumal die Kreuzung, der es weichen musste, zwei Jahre später schon wieder gesperrt wurde.
Was hat Ihr Interesse am Denkmalschutz geweckt? Späte Leidenschaft oder haben Sie sich schon früher dafür interessiert?
Ich habe schon immer Häuser fotografiert. Als ich 13 Jahre alt war und mit dem Fahrrad zu meiner Großmutter nach Schleswig gefahren bin, fand ich im Straßengraben ein Bilora Box. Die habe ich beim Fundbüro abgegeben und später wiederbekommen, weil sich keinen Besitzer fand. So entstanden die ersten Bilder. Ab 1953 hatte ich dann eine Kleinbildkamera und begann unsystematisch Häuser zu fotografieren. Sonst war ich eher naturkundlich interessiert.
Aber das Interesse an alten Häusern ist geblieben?
Ja. Als Ende der 1970er-Jahre in Bargum das kleine Armen-Haus der Gemeinde abgerissen werden sollte, bin ich zum Bürgermeister gefahren und habe ihm erklärt, dass ich das Gebäude gern abtragen und bei mir im Garten wieder aufbauen würde. Das haben wir dann auch getan. Es steht immer noch dort. Als ich auf dem Sylter Friesen-Kongress 1979 dann einen Vortrag von Carl-Ingwer Johannsen, (dem Leiter des Freilicht-Museums Molfsee, Anm. d. Red.) über „Baustile in Nordfriesland“ hörte, wurde das für mich zum Schlüsselerlebnis. Danach haben die jungen Leute beim Nordfriisk Instituut eine Arbeitsgemeinschaft gegründet. Daraus ging 1980 die Interessengemeinschaft und ein Jahr später die vereinseigene Zeitschrift, Der Maueranker, hervor. Der hält zusammen und verbindet.
Nun ist für viele Denkmalschutz nichts anderes als der Erhalt von alten Gebäuden um jeden Preis – und sei es, dass man sie nach der Unterschutzstellung für nichts mehr nutzen kann. Was halten Sie solchen Äußerungen entgegen?
Dass der Denkmalschutz historische Gebäude vor dem Verschwinden schützen soll. Alles andere ist böswillige Verleumdung. Denkmalschutz verbietet ja durchaus nicht alles. Und am Ende nützt er gar nichts, wenn jemand ein Gebäude unbedingt weghaben will. Denkmäler sind Zeugnisse früherer Zeiten, an denen sich ablesen lässt, wie Menschen gelebt und gewirtschaftet haben.

Aber muss der Denkmalschutz sich nicht tatsächlich wandeln, wenn er angesichts leerer Staatskassen dauerhaft eine Chance haben will? Dänen und Niederländer machen es doch vor: behutsame Nutzung historischer Gebäude bei gleichzeitigem Erhalt der Bausubstanz und ihres Charakters. Sind wir Deutsche da zu streng?
Nein, Holländer und Dänen waren im Denkmalschutz nur früher als wir sehr viel konsequenter. In Husum hat das mit dem Denkmalschutz dagegen häufig nicht so gut geklappt. Viele denkmalwürdige Gebäude wurden abgerissen. Man geht hier mit dem Bauerbe zu leichtfertig um. Von zu strengem Denkmalschutz kann keine Rede sein.
Nun geht man mit der Stadt, in der man lebt, gemeinhin ja besonders hart ins Gericht. Wenn Sie an Husum denken in der Nacht, was bringt Sie da als Denkmalschützer um den Schlaf?
Dass die Stadt bisher zu wenig tut, das Stadtbild zu erhalten. Es gibt eine Stiftung zur Erhaltung des Stadtbildes und eine Erhaltungssatzung, die aber nicht angewendet wird. Was zwischen denkmalgeschützen Gebäuden steht, wird zu oft bedenkenlos zum Abriss frei gegeben. Das Stadtbild lebt aber von der Vielzahl der Gebäude als Ensemble, das die Geschichte widerspiegelt, und das man nicht beliebig verändern sollte. Dass das alte Rathaus wirklich zum Verkauf angeboten worden ist, bleibt ein Alptraum. Es beglückt mich, dass ich das mit Mitstreitern verhindern konnte.
Was kann die IG Baupflege daran ändern?
Wir haben immer wieder darauf hingewiesen, dass die Stadt dringend eine Bestandsaufnahme braucht. Im Übrigen sind wir nicht gegen Neubauten. Wir plädieren aber für einen sensiblen Umgang mit alter Bausubstanz. In nahezu jedem „Maueranker“ ist die Rubrik „Das bedrohte Haus“ zu finden. Das Ostenfelder Bauernhaus gehörte auch dazu.
Der Druck auf die Städte wächst. Immer mehr Menschen ziehen auf der Suche nach Arbeit in die Metropolen. Welche Auswirkungen hat diese Entwicklung auf den Denkmalschutz?
Ja, die Landflucht ist ein Problem. Durch die fehlende Infrastruktur werden viele Dörfer regelrecht entleert. Die Dorferneuerung in den 1980er- und 90er-Jahren, die das Leben im Dorf verbessern wollte, ist fast vergessen. Für die Städte muss das aber kein Nachteil sein. Allerdings gerät durch die zunehmende Verdichtung natürlich auch der alte Baubestand unter Druck.
Junge Architekten sind ja auch nur junge Menschen mit Architektur-Studium. Die alten Bildungshorizonte verblassen. Zeitgenössische Künstler kennen teilweise schon kein Plagiat mehr, bedienen sich nach Bedarf aus dem gesamten Fundus von Klassik und Moderne. Auch in der Architektur sind entsprechende Tendenzen erkennbar. Altes wird mit Neuem kombiniert, manchmal höchst unkonventionell. Ist das eine bedrohliche oder eher förderliche Entwicklung im Umgang mit alter Bausubstanz?
Bisher war das Neue ja immer als solches sichtbar. Alt und Neu können sich im Übrigen durchaus gut vertragen. Als bedrohlich empfinde ich das nicht. Und die Entwicklung ist ja auch spannend. Ich war nie ein Hardliner im Denkmalschutz, wohl aber in der Verteidigung von Denkmälern.
Warum ist Denkmalschutz so ein Nischen-Thema. Jeder freut sich beim Besuch alter Städte, dass es sie noch gibt, doch aktiv setzen sich nur wenige dafür ein?
Das sehe ich nicht so. Wir haben in den letzten Jahren einen großen Zuwachs an Mitgliedern – alte und junge. Die Erhaltung alter Bausubstanz interessiert die Leute, auch wenn sich nicht alle dafür einsetzen.
Was nützt der beste Denkmalschutz, wenn sich Hausbesitzer nicht daran halten? Muss da gesetzlich nachgebessert werden?
In vielen Fällen würde es wahrscheinlich genügen, die bisher bestehenden Regelungen anzuwenden.
Den Hans-Momsen-Preis haben Sie ja auch schon bekommen. Was bedeutet Ihnen die neue Würdigung?
Ich empfinde sie als Ehre, zumal es eine landesweite Auszeichnung ist. Aber ich freue mich auch deshalb, weil die IG Baupflege mit geehrt wird.
Interview: Rüdiger Otto von Brocken

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